Die Aldi-Welt
begreifen verriet doch eine gewisse Verzweiflung. Daß er sich dabei im Titel einer Vokabel aus dem »Wörterbuch des Unmenschen« bediente, war gewiß kein Zufall – aber sonderlich lustig war es auch nicht. Die Stimmen derer, die tapfer zu ihrem Marx hielten, wurden im Lauf der neunziger Jahre immer kläglicher und leiser. Die Ideen des Marxismus seien nicht notwendigerweise schlecht, nur weil der erste große Freilandversuch, der in Rußland immerhin 70 Jahre gedauert hatte, gescheitert sei. »Na gut«, würde Franz Beckenbauer da einwerfen, »sicherlich«.
So als wäre es mit Gewalt unterdrückt gewesen, meldete sich nach dem vorläufigen Ende des Sozialismus das Kapital zurück. Die Dampframme des hemmungslos sich an seinem Sieg berauschenden kapitalistischen Systems schlug unbarmherzig zu. Dabei war es, eine weitere schöne Ironie der Geschichte, gar nicht Marx gewesen, der als erster von »kapitalistischer Produktionsweise« gesprochen hatte, sondern der Nationalökonom Werner Sombart. Und was ehedem eine Schmährede der Linken gewesen war, reklamierte nun das Kapital selbstbewußt für sich. Sir Ralf Dahrendorf, ein veritabler Liberaler von europäischem Zuschnitt, wurde auffällig, als er davon sprach, wir seien »endlich wieder frei, in einer offenen Gesellschaft so viele Spielarten des Kapitalismus zu entwickeln, wie wir nur wollen«. Der deutsche Soziologe Heinz Bude hat für diese neue Freiheit den Begriff »experimenteller Kapitalismus« gemünzt.
Experimentiert wird immer und überall. Und debattiert auch. Noch der letzte Gemeinderat hat damit am Stammtisch ein Totschlagargument zur Verfügung, das nichtssagender nicht sein könnte – »Globalisierung« ist wahrscheinlich das Mode-, Reiz- und Nullsummenwort der letzten Jahre. Es tut genial einfach, global eben, nicht wahr, da weiß ein jeder, was gemeint ist (wie stark fällt dagegen shareholder value ab, sehr diffus und längst nicht so breitenwirksam, so sportvereinstauglich wie Globalisierung); was tatsächlich gemeint sein könnte, da gehen die Meinungen schon wieder stark auseinander; aber das ist ja einer der ewigen Vorzüge von Gummiwörtern, die auch nach dem 1000sten Durchkauen noch einen fernen Geschmack von Welthaltigkeit haben. Erstaunlich viel Wortmasse produzierte zu diesem Phänomen die Münchner Textfabrik des Soziologen Ulrich Beck. Der feuerte aus allen Suhrkamp-Rohren, in regenbogenfarbenen Bänden, daß man im Geschützdonner bloß noch warten konnte, wer als erster mit dem Begriff Dritte Moderne daherkommen würde.
Global ist vor allem und zuallererst der Fluß des Geldes. Das kennt keine Grenzen mehr, heute hier, morgen dort, heute Dax, morgen Dow Jones, übermorgen Nikkei. Das Kapital hat sich längst verselbständigt, hat sich eine Reisefreiheit von ungeahntem Ausmaß genehmigt. Während die Enkel der Ewiggestrigen wieder »Ausländer raus!« brüllen, Hakenkreuze schmieren, Mauern um Europa errichten wollen, hat das Kapital schon mehrmals den Erdball umkreist, die Währung und somit die Hautfarbe gewechselt. Und daheim im deutschen Lande, sagen wir in Mecklenburg-Vorpommern, erwacht ein Skinhead nach einer anstrengenden Nacht, in der er mal wieder mit seinem Baseballschläger inländische Touristen terrorisiert (Wossies-Bashing) und anschließend ordentlich einen gesoffen hat, und hört in den Nachrichten, der Dax sei schon wieder ein paar Punkte höher gestiegen, während in Tokio der Nikkei uneinheitlich tendiere. In diesem Falle womöglich: eine Nullnachricht. Und doch sitzt unser Skin, ohne daß er es weiß, mitten in der Globalisierungsfalle.
Global Players Marke Albrecht
Es war einmal eine Marktwirtschaft in diesem unserem Lande, und die nannte sich »soziale«. Das ist vorbei; das Adjektiv wurde ersatzlos gestrichen. Kein Wunder, sind ja plötzlich alle zu Aktionären geworden. Globalisierung, sagen Leute mit historischem Weitblick, ist ein alter Hut. Schon die Gründung der antiken Weltreiche sei nichts anderes gewesen. Neu an dem Vorgang ist, daß es nicht mehr die westeuropäischen Staaten sind, die diese Welle in Bewegung gesetzt haben. Die Attacken kommen diesmal von außen, von der primadonna assoluta, den Vereinigten Staaten von Amerika, von den asiatischen Tigerstaaten, von’ den aufstrebenden Chinesen, aus Billiglohnländern wie Indien, Malaysia und Indonesien. Die hiesigen Wirtschaftsliberalen und Industriekapitäne sind begeistert; endlich können sie ungehemmt auf das Wachstumspedal
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