Die Aldi-Welt
treten. Aus dem Hause Albrecht tönt derweil beredtes Schweigen: Dort hat man bereits globalisiert, als noch kein Hahn danach krähen konnte.
Noch einmal Schumpeter, weil er offenbar in seiner Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung (1911/13) die Aldi-Brüder am Horizont hatte heraufziehen sehen. »Unternehmer«, sagt Schumpeter, »nennen wir die Wirtschaftssubjekte, deren Funktion die Durchsetzung neuer Kombinationen ist und die dabei das aktive Element sind.« Demnach ist der Unternehmer ein Kombinierer, der vorhandenes Material, das bereits auf dem Markt oder in der Gesellschaft existiert, neu ordnet. Zweitens ist der Unternehmer ein Durchsetzer, der Gewohnheiten und Widerstände des Konsumverhaltens aufbricht. Drittens handelt der Unternehmer energisch, das heißt ihn reizt gerade die Herausforderung, etwas Neues zu tun. So weit, so Albrecht.
Der Unternehmer ist verantwortlich für eine dynamische Wirtschaftsentwicklung, dynamisch heißt in diesem Fall: diskontinuierlich. Angetrieben wird diese Entwicklung durch die Schaffung von Konsumbedürfnissen, durch neue Produkte, neue Produktionsmethoden, neue Beschaffungswege, neue Absatzmärkte. Heinz Bude, der in der Tradition Schumpeters den Unternehmer »als Revolutionär der Wirtschaft« beschrieben hat, definiert ihn deshalb als »einzig selbständiges, unberechenbares Wirtschaftssubjekt«, weil er nicht von der Nachfrage, sondern vom Angebot her denke. Bei Aldi machte die Erweiterung des 450-Schnelldreher-Sortiments Produkte zugänglich, die sonst den müßigen Klassen vorbehalten gewesen wären (jedenfalls im Normalverdienerfall).
Dieses Wirtschaftssubjekt kann auf zwei Weisen unternehmerisch handeln. Entweder handelt es sich um einen »hedonistischen Wirt«, also um jemanden, der auf Genuß, Bedürfnisbefriedigung und Störungsbeseitigung aus ist. Oder wir treffen, wie bereits angedeutet, auf den Typ »unternehmerischer Unternehmer«. Sind die Aldi-Brüder hedonistische Wirte geworden, die sich auf den Erfolgen ihrer Zeit als unternehmerische Unternehmer ausruhen? Das wird man kaum behaupten können. Die Wahrung ihres Besitzstandes war ihnen stets ein Herzensanliegen, ihre Fehlerfreundlichkeit hat sich in Grenzen gehalten – sie passen so recht in kein Schema. Aber sie haben geschafft, was im anbrechenden Zeitalter des Turbo-Kapitalismus gar nicht selbstverständlich ist: Sie sind aus sich heraus groß geworden und haben diese Stellung bis heute zäh ausgebaut und erfolgreich verteidigt. Schumpeter selbst hat, obwohl er ein Verfechter der kapitalistischen Wirtschaftsordnung war, 1936 das Ende des Systems prophezeit. Noch weitere 50 Jahre lautete damals seine Prognose. Untergegangen ist dann bekanntermaßen ein anderes System.
Dramatische Zeiten sind aber dennoch angebrochen, Sieg des Kapitals hin oder her: Die Industriegesellschaften sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Es geht ihnen nämlich die Arbeit aus. Künftig soll, wenn es nach dem professionellen Unken des global business geht, eine neue Klassengesellschaft durchbrechen: eine Informationselite (nicht mit der vermeintlichen Zielgruppe von Focus zu verwechseln), hochqualifizierte Leute mit Arbeit und also mit Zugang zu Wissen und seiner digitalen Aufbereitung, die entweder über den Planeten nomadisieren oder in den Hauptquartieren der Finanzplätze die Schlüsselpositionen besetzen. Dieser Minderheit gegenüber steht eine riesige Masse von Arbeitslosen, Arbeitssuchenden, Vorruheständlern, Scheinselbständigen und Dienstleistern, für die in dieser schönen neuen Welt kein Platz an der Sonnenseite vorgesehen ist. Seit die Marktwirtschaft das lästige Adjektiv »sozial« als Steuerloch-Schalter des Finanzministers abgegeben hat, frißt die verschlankte Marktwirtschaft ihre Kinder, aber stets mit dem Achselzucken »Globalisierung«. International sind heute Denken und Handeln der Wirtschaftsriesen; und selbst wenn sie, wie Siemens, noch zufällig ihre Zentrale auf deutschem Boden haben, ist Steuervermeidung oberstes Unternehmensziel – mit einem Rüffel des Bundespräsidenten kann man lässig leben. Siemens sitzt zwar am Wittelsbacher Platz mitten in München, aber von den 328000 Angestellten arbeiten 170000 im Ausland. Der Konzern betreibt 400 Produktionsstätten in sechs Kontinenten, in 190 Ländern der Erde gibt es Niederlassungen. Made in Germany? Dazu Roman Herzog wörtlich: »Ein Unternehmen, das in Deutschland seine Produktionsstätten, seine Arbeitsplätze abbaut und fast keine
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