Die Aldi-Welt
ist eine Scheibe. Der Kleinaktionär spürt, daß er etwas tun muß, weil auch auf die Obrigkeiten kein Verlaß mehr ist. Das hat er zwar immer gewußt, aber eine Zeitlang ist es ja wieder ganz gut gegangen. Doch nun rückt die Hydra schon näher: Stellenabbau überall versus Gewinnmaximierung für Herrn und Frau Shareholder (geborene Value), Rentenkrise, Gesundheitskrise, Arbeitslosenkrise, alles Krise. Der Boden schwankt; wer heute nicht die richtige Qualifizierung hat, um künftig mitzuschwimmen, sollte sich schnell um eine kümmern. Schon rufen die ersten am Stammtisch (noch vorsichtig spaßeshalber) wieder nach der roten Fahne und einer Revolution, die her müsse. Von den anderen, die nach dem Führer rufen, ganz zu schweigen. Profitiert haben freilich beide, Schnäppchenjäger und Kleinaktionär, von den Folgen der Globalisierung: Mit seiner Kaufkraft hat er es wesentlich leichter, sich mit unersetzlichen Artikeln des täglichen Bedarfs wie Videorecordern, Heimcomputern und Mikrowellengeräten einzudecken, zu Preisen, für die vor 30 Jahren die fünffache Arbeitszeit hätte aufgewendet werden müssen.
Die größten Kritiker des ungebremsten Wildwest-Kapitalismus kommen aus dem Land, das ihm zum Durchbruch verholfen hat, der einzig verbliebenen Sieger-Super-Weltmacht. Lester Thurow, Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT), hat sich in einer mittlerweile berühmten Schrift Gedanken über Die Zukunft des Kapitalismus gemacht. Er fürchtet irreparablen Flurschaden für die Demokratie, wenn die Kluft zwischen Reich und Arm zu groß wird, wenn die Reallöhne immer weiter sinken, und die Gesellschaft der Superreichen immer größer wird. Wozu ist das Millionenheer von Arbeitslosen dann noch gut, wenn es nicht mal mehr über genügend Geld verfügt, um als Konsumenten aufzutreten?
Der US-Publizist Jeremy Rifkin, ein bekannter Wissenschaftskritiker und politischer Journalist, sieht die Angelegenheit mit noch düstererem Blick. In seinem 1995 erschienenen Buch Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft prognostiziert Rifkin, daß vor allem die fortschreitenden Automationsprozesse (die vor lauter Globalisierung in der deutschen Debatte fast ein wenig in den Hintergrund getreten waren) zu weiteren Arbeitslosen und somit zu sozialem Sprengstoff führen werden. Rifkin zieht als Beispiel die Landwirtschaft heran: Durch neue Maschinen seien in diesem Jahrhundert Millionen von Bauern arbeitslos geworden – ein Ersatz von Muskel- durch Maschinenkraft. Heute zielt die industrielle Revolution auf die Ablösung des Geistes. Durch immer schnellere und intelligentere Computer sind, so Rifkin, von der »Ausrottung« bedroht »Fabrikarbeiter, Sekretärinnen, Empfangsdamen, Sachbearbeiter, Verkaufspersonal, Bankkassierer, Telephonvermittler, Bibliothekare, Großhändler und Manager der mittleren Ebene«. Rifkin sagt weiter voraus: »Im Laufe des nächsten Vierteljahrhunderts werden wir die praktische Abschaffung des Fließbandarbeiters im Produktionsprozeß erleben.«
Die Wachstumsbranche Telekommunikation, Internet, Cyberspace arbeitet mit weniger, dafür hochspezialisierten Leuten, Programmierern, Software-Ingenieuren, Wissenschaftlern und Wissensvermittlern, die quantitativ keinen Ersatz bieten für die Masse an Arbeitskräften, die durch die neuen Technologien eingespart werden. Der Unterschied zum Industriezeitalter: Jenes schaffte Sklavenarbeit ab; das Informationszeitalter schafft Massenbeschäftigung ab – ohne Einbußen an Produktionsleistung, ohne Verlust an Dienstleistung.
Die schnellsten Kassenfrauen der Welt
Und Aldi? Hat in diesem planetarischen Sittenbild seinen Platz. Im Globalisierungsspiel mischt der Mülheimer Discountriese auf alle Fälle mit. Bei der reichsten Ente der Welt weiß der geneigte Leser, wo das viele Geld verschwindet – im Dagobert Duckschen Speicher. Mit Möglichkeit zum erfrischenden Bad im erworbenen Reichtum. Aber anstatt auch nur irgendwie neureich zu werden, die Fassade aufzumöbeln, die Mitarbeiter in Livrees zu stecken, haben die Gebrüder Albrecht alles beim alten, beim Bewährten gelassen. Quasi beim patinierten, stone-washed-look. Während sich noch die letzte Sparkasse auf dem platten Land einen postprämodernen Glaspalast mit Tiefgaragen und Tresoren bis zum Erdkern errichten läßt, »stehen vor der Aldi-Zentrale maximal acht Daimler«, zitiert ein Fachblatt einen Manager. Und ein wohlhabender Mann, der als Anwalt in mehreren Aufsichtsräten sitzt, berichtet,
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