Die Aldi-Welt
des Lösegelds, die nicht mehr aufgetaucht war.
Das war freilich auch Theo Albrechts große Sorge, der er noch im Gerichtssaal Ausdruck verlieh: »Ich hoffe, daß damit der ganze Rummel endlich zu Ende ist, daß nichts mehr über meine Entführung veröffentlicht wird und das restliche Geld doch noch auftaucht.« Tja, die Beute. Theo Albrecht erwies sich als wenig zimperlich, als es an das Eintreiben des Lösegeldes ging. Da wurde er wieder ganz kaufmännisch; die Freude über sein Weihnachtspaket war längst verflogen. Noch in der Zelle erhielten Ollenburg und Kron Zahlungsbefehle über die fehlenden Millionen. Ollenburg ließ sich auf einen höchst seltsamen Deal ein. Er gab sein Geldversteck preis, weil Theo Albrecht ihm für die Zeit nach der Haftentlassung ein Starthilfekapital von 50000 Mark zugesagt hatte. Der Anteil von Paul Kron blieb auch nach der Verurteilung verschwunden. Es war allerdings der Hauptverdacht stets auf Ollenburg als dem Kopf des Duos lasten geblieben. Anno 1977 geriet der verurteilte Anwalt erneut in die Schlagzeilen. Der damals 52jährige durfte eine einwöchige Haftunterbrechung nutzen, um mit Billigung der Staatsanwaltschaft »seine Ehe zu retten«: Ollenburg vergnügte sich mit seiner 23jährigen Gemahlin Angela auf der Insel Borkum, allerdings ständig beschattet von paparazzi-artigen Fotografen. Die Polizei bestritt, daß es sich bei den Schattenwesen um Zivilfahnder handelte, sondern sprach die Vermutung aus, die Unterwelt habe sich auf Ollenburgs Spuren geheftet, um an die bei ihm vermutete Millionenbeute zu gelangen.
Eine vorzeitige Entlassung Ollenburgs hatte das Landgericht Dortmund damals abgelehnt; er kam erst Anfang Juli 1978 frei. Die Illustrierte Bunte berichtete seinerzeit, in der Wohnung des Exanwalts in Düsseldorf seien »seit Tagen die Rolläden heruntergelassen. Die Ollenburgs sind auf Achse. Weit können sie aber nicht sein…«, vermerkte das Blatt nicht ohne Befriedigung, schließlich dürfe das Paar nicht aus Düsseldorf weg, und »aus Deutschland schon gar nicht«. Die bürgerliche Illustrierte setzte merkwürdigerweise als Fazit auf einen Spruch von Lenin: »Ollenburg beteuert, er wisse nicht, wo das Geld ist. Mag sein. Aber: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.«
Albrecht ließ nichts unversucht. Vor dem Finanzgericht Düsseldorf strengte er 1979 einen Musterprozeß an, weil er das Lösegeld von der Steuer absetzen wollte. Die Zahlung des Lösegelds, so argumentierte Albrechts Anwalt Karl Ronkel, sei notwendigerweise eine betriebsbezogene Ausgabe gewesen, weil die Entführer ja schließlich nicht an Albrecht als Privatmann, sondern als Firmeninhaber interessiert gewesen seien. Ein Firmeninhaber jener Spezies, über die Heinz Joachim Ollenburg vor dem Essener Landgericht holprig, aber nicht ohne Einsicht gesagt hatte: »Es gibt in Deutschland Leute, die Tag für Tag eine Million verdienen (…) Wer kann da noch von sozialer Gerechtigkeit oder einer angemessenen Einkommensverteilung in einer Leistungsgesellschaft sprechen? Die Gesetze sind in Deutschland zugunsten einer ganz geringen Minderheit gemacht, die dadurch zwangsweise reicher und reicher werden.« Da endet dann die Lachnummer auch abrupt und gibt für einen Wimpernschlag den Blick auf eine Realität frei, an der sich auch in dem Vierteljahrhundert, das seit der Verhandlung verstrichen ist, nichts geändert hat. Außer vielleicht, daß heute nicht einmal mehr von einer gerechten Einkommensverteilung geträumt wird. Heute gehen Entführer mit äußerster Brutalität und militärischer Präzision vor; die Lösegeldsummen sind so immens, daß dafür der Tod des Opfers und der Entführer im Kalkül steht. Der Fall des Hamburger Multimillionärs Reemtsma hat die Sache sicher auf eine vorläufige Spitze getrieben, vor allem wegen seiner medialen Umsetzung. Daß eingeweihte Zeitungen und Sendeanstalten so lange dichthielten, haben sie sich hinterher reichlich vergolden (und als Imagegewinn ans Revers heften) können. Daß der entführte Millionär und Literaturwissenschaftler nach seiner Befreiung seinen Schock mit einem Buch abarbeitet, mit diesem auf der Bestsellerliste landet und zum gesuchten Gesprächspartner der Medien wird, das stellt sicherlich ein Novum dar.
Theo Albrecht hat nichts von alledem getan. Er hat keinen Ghostwriter bestellt und seine Memoiren nicht diktiert. Er hat keine Interviews gegeben, und ob er psychotherapeutische Hilfe gesucht hat, ist nicht bekannt. Er wollte sein Geld wieder
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