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Die Aldi-Welt

Die Aldi-Welt

Titel: Die Aldi-Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Hintermeier
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»Sie kamen durch Kaiserschnitt« vermeldete Bild und tat im übrigen mal wieder so, als seien die Reporter in der Gebärmutter der Dreißigjährigen gesessen, während die Familie »im Nebenraum fieberte«. Die Vierlinge wurden im siebten Monat entbunden, kamen in den Brutkasten und verschwanden so vor den Augen einer staunenden Öffentlichkeit. Das offizielle Bulletin der Familie verkündete dann die Haushälterin vor der Villa der Großeltern. »Ich darf ausrichten, daß es allen gutgeht.« Und Firmenchef Theo Albrecht warf wieder einmal einen Satz der Nachwelt hin: »Ich bin der glücklichste Großvater Deutschlands.«
    Im November 1993 vermeldete der stets vornehme Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (»Einschienen-Rollschuhe weiter auf dem Vormarsch« lautete eine Überschrift im Sommer 1997 – gemeint waren Rollerblades), bei Aldi sei der Generationswechsel vollzogen. Aber selbst diese Meldung blieb kryptisch. Im Südreich, so die Essenz der Meldung, ziehe sich Karl (damals 77) Anfang 1994 aus dem Verwaltungsrat zurück. Sohn Karl (damals 39) wolle es ihm aus gesundheitlichen Gründen gleichtun, das meldete ergänzend die Lebensmittelzeitung. Die freien Stellen sollten Ulrich Wolters und Horst Steinfeld einnehmen. Man darf sicher sein, daß die Herren im Sinne des Firmengründers agieren, wenn auch mit jenen halböffentlichen Äußerungen von Wolters ein wenig Perestroika eingezogen zu sein scheint.
    Theo Albrecht habe sein Nordreich unter den beiden Söhnen aufgeteilt, die seit 1990 im Verwaltungsrat der Essener Aldi Einkauf GmbH & Co. OHG sitzen. Da Theo sen. aber »lebenslänglich« Vorsitzender der Markus-Stiftung in Nortorf bliebe, habe er auch die Kontrolle über das Reich behalten. So scheint die Dynastie wenigstens im Norden weiterzuleben. Im Südreich dagegen ist der Sohn zeitgleich mit dem Vater gegangen – so ward die Gelegenheit vertan, einen echten Stammbaum im Sinne einer Kaufmannsfamilie à la Buddenbrooks zu pflanzen. Was könnte das für ein Schauspiel abgeben, den folgenden Generationen der Familie Albrecht dabei zuzusehen, wie ihnen, weltfernen Künstlern gleich, das Imperium der Vorväter aus den Händen gleitet.

Kapitalismus gut – alles gut
     
     
     
    »Die Ideologie, hatte er plötzlich, von seinem eigenen Einfall überwältigt, der Konferenz erklärt, die wahrhaft im Kalten Krieg gesiegt und den Kommunismus beziehungsweise Sozialismus niedergerungen hat, darf nicht Kapitalismus genannt werden, denn das ist bloß eine Wirtschaftsform, die viele Gesellschaftsmitglieder gar nicht persönlich bindet. Was gesiegt hat, nenne ich den Konsumismus. Die Gesellschaftsmitglieder, auch die aus den unteren Klassen, können am Genuß der Welt und am Selbstgenuß teilhaben durch den Erwerb und den Konsum von Waren, deren Vorm in der Ersten Welt fast alle Dinge und Gedanken annehmen. Darauf wollte die Zweite Welt nicht mehr verzichten.«
    Michael Rutschky, »Konsumismus«
     
    Irgendwie und sowieso war allein schon das Wort viele Jahre mit einem Hautgout versehen. Das »Schweinesystem« der Ausbeuter, der Kapitalismus, war zwar weiterhin in Amt und Würden, aber es nannte sich Soziale Marktwirtschaft, und man sprach nicht darüber. Im Reich des Bösen herrschte der Kommunismus, und der war unabdingbar für das Wohlergehen des Kapitalismus – so dachte man damals, jedenfalls insgeheim. Die achtziger Jahre waren ein goldenes Zeitalter, trotz Reaganomics, trotz Thatcherismus. Unbekümmerte Yuppisierung war die offizielle Lesart; daß nebenbei noch einmal so richtig schön Kalter Krieg war, mit Nachrüstung und Pershing, wer mag das heute noch wissen – im allgemeinen Dackelaugenrückblick auf die verflossenen Jubeljahre. Wenn überhaupt vom Kapitalismus die Rede war, dann in so ironisch-abfälligen Begriffen wie »Kasino-Kapitalismus«, wie ihn die amerikanische Sozialwissenschaftlerin Susan Strange geprägt hat. Damit charakterisiert sie eine Mentalität, die schrankenloses Wachstum von Multis befördert. Auf der weltpolitischen Bühne fädelte bekanntermaßen der Bundeskohl in Strickjacke den kaukasischen Wendekreis ein; Gorbatschow durfte den Reformer geben, das dunkle Reich des Bösen östlich der Mauer implodierte, und schon im Jahr 1991 rieb sich der Politikprofessor und DKP-Historiker Georg Fülberth im Konkret Literatur Verlag zu Hamburg die Augen – symbolisch natürlich, denn der Titel seines Traktates Sieben Anstrengungen, den vorläufigen Endsieg des Kapitalismus zu

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