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Die Aldi-Welt

Die Aldi-Welt

Titel: Die Aldi-Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Hintermeier
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es gehe wann immer das Gespräch auf Aldi komme, ein vernehmliches Hüsteln durch die Runde: Sämtliche Zahlen und Bilanzen, die vorgelegt würden, seien mit dem Zusatz versehen »Natürlich ohne Aldi«. »Sie sind da, irgendwo da draußen«, sagt der Aufsichtsrat, »aber man tut so, als sähe man sie nicht.« Eine beeindruckende Leistung sei das, was die Brüder aufgezogen hätten, einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik.
    Aber was ist das für eine kapitalistische Erfolgsgeschichte, die sich im verborgenen, ohne Hinweis auf ausufernden Protz im Inneren, abspielt? Das paßt wieder so gar nicht in das globalisierte Beschleunigungsgewusel. Wie tritt Aldi jenseits von anonymen Anzeigen auf? Wer ist der bedeutendste Repräsentant all dessen, was wir Aldi-Kultur beziehungsweise Discounterlebniswelt genannt haben? Es ist eine (zumeist weibliche) Person mittleren Alters, die in einen blauen Arbeitskittel gehüllt vor einer Registrierkasse sitzt und jenen Mehrwert abschöpft, von dem der Milliardär seine Zahnbürste bezahlt.
    Der einzige zwischenmenschliche Kontakt, den man, von Rempeleien abgesehen (Aldi sei »eine friedliche Welt«, heißt es auf einer CD-ROM, dazu später mehr), im Discounter hat, ist die kurze Begegnung mit der Frau an der Kasse. In den Tiefen der Verkaufsstelle einen Ansprechpartner zu finden, ist außerordentlich schwer; meist handelt es sich um den gestreßten Filialleiter selbst – der Geheimwaffe des Einzelhandels. Auch muß zur Ehrenrettung gesagt werden, daß die Aldi-Belegschaft nicht unfreundlicher als die durchschnittliche deutsche Selbstbedienungsmotze ist. Die meisten Blicke dieser Gesichter an der Kasse sind wie der des berühmten Panthers von Rilke – leer, vom Abschreiten der Warenberge, vom ewigen Handaufhalten und Geldzurückgeben; aber eben neutral in der Aussage. Es ist eine gewisse Null-Semantik an dieser Schnittstelle Kunde-Angestellter, jenseits des Waren- und Geldtausches. Man kann dort schon ahnen, daß der Tag, an dem Kassenroboter die Kollekte übernehmen, nicht mehr allzu fern ist.
    Das paßt in die hiesige Servicelandschaft, denn es wird gern und wortreich die Klage geführt, Deutschland sei keine Hochburg der Dienstleistung, im Gegenteil, es nehme im internationalen Vergleich wohl den letzten Platz ein. (Ewig gründein die Teutonen!) Die Schilder der Sorte »Wechselgeld sofort nachzählen. Spätere Reklamationen zwecklos!« sind von ähnlichem Charme wie die Hinweistafel »Jeder Ladendiebstahl wird zur Anzeige gebracht«.
    Der Dienstleistungsgedanke wäre freilich das Leichengift der Discountidee à la Albrecht. Alles, was die Brüder Albrecht in den vergangenen Jahrzehnten mühevoll an Verknappung aufgebaut haben – beinahe ein poetischer Vorgang: Verdichtung, Ballung, Aufladung? –, wird konterkariert durch diese penetrant lauter werdenden Forderungen nach einem »Dienstleistungsstandort« Deutschland. Früher hatte der »Standort« (wie auch das epidemische »Vorfeld«) immer etwas mit Militärischem zu tun, neuerdings ist ein Standort nur in Verbindung mit Wirtschaftsmacht »verortbar« (auch so ein dollgewordenes neudeutsches Unwort). Daß es am Standort Deutschland in punkto entgegenkommende Freundlichkeit trübe aussieht, verdankt sich sehr wohl dem notorischen Selbstbedienungsgedanken. Erst hat man alle dienstleistenden Tätigkeiten abgeschafft – wer kriegt heute noch einen Tankwart an den Einfüllstutzen? –, dann war man stolz darauf (Demokratiegewinn, Entsorgung alter Zöpfe). Und nun endet die Klage nicht, man bekäme kein gescheites Personal mehr. Vielleicht verbreitet sich die Einsicht doch noch, daß sich das eine nicht unbedingt vom anderen trennen lassen muß. Der amerikanische Supermarkt kennt eben Einpackhilfen, die dem Kunden helfen, die Waren schnell und sinnvoll in Tüten zu stapeln. Daß diese fleißigen Lieschen allerdings bloß zwei Dollar die Stunde verdienen, ist die Kehrseite der Medaille, die deutsche Politiker, deren Zeigefinger permanent Richtung USA deuten, wissentlich unterschlagen. Bei uns muß man sich auch den Plastiksack noch selbst unter dem Laufband hervorholen, um ihn dann selbstverständlich zu bezahlen. Aldi hat aus dieser Not eine Tugend gemacht. Die Schachtelberge jenseits der Kassen sind ein Angebot an die Kunden: jederzeit kostenloses Transportgefäß; und gleichzeitig entsorgt der Kunde Berge von Pappe, die sonst der Firma blieben. Zu diesem Zwecke sind die robusten Plastiktüten relativ teuer (35 Pfennig) und die

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