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Die Aldi-Welt

Die Aldi-Welt

Titel: Die Aldi-Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Hintermeier
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des berühmten Oxforder Wissenschaftlers Richard Dawkins, der darauf beharrt, daß der Mensch nichts anderes sei als eine Überlebensmaschine, ein Transportvehikel für sein eingebautes Erbgut. Weil aber Evolution etwas mit möglichst perfekter Anpassung an die Umwelt zu tun hat, spricht es nur für die Qualität der Aldi-Gene, daß sie sich den veränderten Marktbedingungen anpassen. So kam der Discounter unter die Apotheker – bewahre, natürlich nicht wirklich, aber: daß Aldi unter die Medikamentenverkäufer ging, war so überraschend nicht. Nach Schätzungen wurden allein im Jahr 1996 in Deutschland rund 1,2 Milliarden Mark mit frei verkäuflichen Arzneimitteln umgesetzt. Das scheint aber nur der Anfang zu sein: Je billiger Schnupfenmittel, Stärkungspillen und Aspirin würden, desto schneller wüchse dieses Segment – Experten rechnen mit einem möglichen Volumen von acht Milliarden Mark Jahresumsatz. 1997 machte prompt ein Gerücht die Runde, das den niedergelassenen Apothekern abwechselnd Zornesröte und Leichenblässe ins Gesicht trieb. Es war durchgesickert, daß Aldi 3000 Mitarbeiter auf die Sachkenntnisprüfung vorbereiten ließ, die vor der Industrie- und Handelskammer abzulegen ist, wenn Abführmittel, Hustentees und Hühneraugenpflaster vertrieben werden. Das blaue Aldi-»A« im Angriff auf das rote Apotheken-»A«? Zugegeben, eine ungemütliche Vorstellung (auch wenn man nicht direkt betroffen ist).
    Zunächst in 11 von 16 Bundesländern will der Discounter in das lukrative Geschäft einsteigen – mit den traditionellen Methoden: Klaus Warzechas vom Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels gab in der Woche seiner Befürchtung Ausdruck, es werde zu einem »Preiskampf« kommen, »den es so noch nicht gab«. Zwar hätten andere Supermarktketten bereits Tees und Tropfen gegen alle möglichen Leiden im Regal, aber wenn Preisbrecher Aldi einsteige, ginge es dem schönen Zusatzgeschäft der Apotheken an den Kragen. Die ohnehin von den Sparmaßnahmen des Bundesgesundheitsministers Seehofer angeschlagene Zunft revanchierte sich sogleich mit einer Plakataktion und Anzeigenserie in überregionalen Tageszeitungen: Über ein Schwarzweißfoto leerer Supermarktgänge (stark perspektivisch, menschenleere Fluchten, die sich in der Ferne verlieren) war folgender Text gelegt: »Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie die Kassiererin.« Humor ist, wenn man trotzdem weiterhin sein Aspirin hochpreisig und mit toller Beratung in der Apotheke kauft… Der Bundesverband der Apotheker verbreitete die Einschätzung, der Apotheker könne in Kürze ganz weg von diesem Feld der frei verkäuflichen Medikamente sein. Dies entspräche einer Umsatzeinbuße von fünf Prozent. Verglichen mit anderen Einbüßen, die der gemeine Apothekenkunde seit der Wiedervereinigung hinzunehmen hatte, sind fünf Prozente nur Peanuts – aber das sage einer laut. Auf dessen Haupte saust hernieder das Beil des Beratungsargumentes. Wer sich selbst medikamentiere, gerate in Gefahr, aus falscher Sparsamkeit sich die falsche, möglicherweise bedrohliche Arznei zuzuführen. Fragt sich nur, wie ausführlich und intensiv denn die Beratung tatsächlich ist, die einem Kunden widerfährt, der sich in der Apotheke diesseits des Tresens einen Kräutertee aus dem Regal zieht. Viele Kunden erleben den Apotheker zwar in weißem Mäntelchen, aber ansonsten nur als den Dolmetscher des ärztlichen Rezeptes, weil er offenbar im Stande ist, das Gekrakel mühelos zu entziffern und dann zu wiederholen, was man schon wußte: ein Tropfen drei bis fünf Mal pro Tag mit einem Glas lauwarmen Wassers.
    Die Lektüre des Beipackzettels ist meist noch kryptischer als die Zusammensetzung bestimmter Lebensmittel – und seit bekannt ist, daß Kaffeesahne überwiegend aus Schweinefett besteht, greift der aufgeklärte Selbstmedikamenteur ohnehin nur noch zu Ascorbinsäure und Aspirin. Und letzteres ersteht er vornehmlich im Ausland, weil die 80 Pfennig, die hierzulande, unter fachkundiger Beratung, versteht sich, für eine Aspirin-Brausetablette einkassiert werden, ein wenig überhöht erscheinen. In englischen und amerikanischen Supermärkten gibt es längst Theken, an denen auch rezeptpflichtige Arzneimittel verkauft werden – unter fachkundiger Beratung. Mehr Kompetenz und damit auch mehr Vertrauen bringen die angelsächsischen Kunden dennoch – Umfragen haben es bewiesen – nach wie vor dem traditionellen Apotheker um die Ecke entgegen. Auch in Deutschland gilt, wie

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