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Die Aldi-Welt

Die Aldi-Welt

Titel: Die Aldi-Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Hintermeier
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etwas Konkretem wie mit Sekt und Selters abgeben würde. Freilich müßte er dann ebenso daneben schauen, wie er es im serbischen Hinterland getan hat – was im Falle Aldi insofern kein Problem wäre, da dort auf wundersame Weise stets Siegerjustiz zu herrschen scheint. So gern, dem Vernehmen nach, der Handelsriese selbst vor den Kadi zieht, so ungern sieht er sich selbst dorthin expediert. Ein Prozeß bedeutet Aufmerksamkeit, möglicherweise einen Imageschaden, und beides ist vollkommen unerwünscht.
    Schwenk zurück ins Jahr 1973. Die Kölner Witwe Christine Hartgens genehmigte sich zum Fernsehabend – es lief der Gassenhauer »Der Fall Mattei« – ein Fläschchen Piccolo der Marke »Burg Hoheneck«. Gleich mit dem ersten Schluck glaubte Frau Hartgens »plötzlich zu explodieren«. Sie erbrach »blutigen Schleim«, hatte »Sehstörungen und Krämpfe« und »starke Schmerzen im Hals und in der Brust« (so ihre Aussage vor Gericht). Ihre »absolute Todesangst« hatte eine ätzende Ursache: Lebensmittelchemiker stellten fest, daß der Sekt schweflige Säure enthielt – in siebenfacher Höhe des zulässigen Werts. Eine Panne beim Abfüllen in der pfälzischen Kellerei Karl Lehr, dem Lieferanten der Karl Albrecht KG, so wurde von der Kriminalpolizei ermittelt, hatte zu der Vergiftung geführt. In einer Blitzaktion wurden sämtliche »Burg Hoheneck«-Vorräte aus den Regalen entfernt, mehr als 20000 Flaschen zwischen Koblenz und Siegen. Die Kunden wurden via Fernsehen und Rundfunk vor dem Sekt gewarnt.
    Für Christine Hartgens kam die Warnung zu spät: Die Mutter von fünf Kindern litt noch drei Monate nach dem Unfall unter Haarausfall, einer Lähmung der linken Hand und einem verkorksten Magen-Darm-Trakt. Sie konnte nur Babynahrung zu sich nehmen, Alkohol, Tee und Kaffee waren tabu.
    Die (nennen wir es:) Linderungsmaßnahmen der Verursacherseite hielten sich in sehr engen Grenzen. Der Aldi-Geschäftsführer Ulrich Wolters – wir sind ihm bereits begegnet – verfügte sich nebst Helmut Brand, dem Geschäftsführer der Kellerei Lehr, ans Krankenbett der Verätzten, mit Blumen, und dem Angebot, sie mit einer einmaligen Zahlung von 1000 Mark abzufinden. Als die Offerte nicht auf fruchtbaren Boden fiel, zog Wolters (»Wir sind mit Frau Hartgens ständig im Gespräch«) das nächste Register und schickte in zwei Raten 2500 Mark. Schließlich kam er persönlich nach Köln, im Gepäck einen Geschenkkorb, und unterbreitete das Angebot, 5000 Mark Schmerzensgeld zu zahlen – wenn die Witwe eine Abfindungserklärung unterschriebe. Da aber die Ärzte einen langsamen Heilungsprozeß vorhergesagt hatten (bis zu acht Jahre), wollte Christine Hartgens nicht auf das Angebot eingehen und übergab die Sache einem Anwalt. Der hatte zwar im Spiegel dann die flapsige Idee, Aldi möge in seinen Filialen Hinweisschilder aufstellen »Kauf auf eigene Gefahr – auch wenn’s dich umhaut«, ansonsten aber kam der Discounter, der noch mal 3000 Mark nachschob, mit diesem Taschengeld davon. Die Nachzahlung, ließ Wolters verlauten, geschehe eher freiwillig, da sich der Anspruch auf Schadensersatz wohl auf die Kellerei Lehr beschränke. Dagegen steht jedoch das Lebensmittelgesetz, das den Verkauf von gesundheitsschädigenden und verdorbenen Nahrungsmitteln untersagt.
    Vom Kleinkrämerischen abgesehen – Aldi-Geschäftsführer Wolters kam mit Pralinen, Kognak und Kaffee, ganz Herr alter Schule – mutet diese Abschmierung à la Biedermann ein Vierteljahrhundert später vorsintflutlich an, besonders im Licht von Schadensersatzprozessen amerikanischer Provenienz. Die Burschen, die big tobacco in die Knie gezwungen haben, hätten sich sehr wahrscheinlich nicht mit Schonkaffee und einem Handgeld zufriedengegeben. Daß der Vergleich hinkt, weil Deutschland eine andere Gesetzgebung hat, ist richtig, ändert aber nichts an der Tatsache, daß die Billigmacher auch beim Schadensersatz nach dem Discountprinzip vorgehen. Naturgemäß.
     
     
    Die Aldisierung der Markenwelt
     
    Das egoistische Discountgen hat eine lange Lebensdauer. Wie alle guten Schmarotzer überlebt es seine Wirtstiere um Längen. Auch wenn sich die ursprüngliche Aldi-Idee im Laufe der Jahrzehnte ständig moderat geändert hat – man denke an die Anpassungsleistung auf dem Gebiet der Tiefkühlkost, den Champagner-Kotau vor den einkommensstarken Haushalten –, im Grunde ist der Nukleus der Idee unverfälscht transportiert worden. Evolutionstechnisch betrachtet stützt das die These

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