Die Aldi-Welt
Handelsketten schon sauer auf. Wenn die Herren von Metro, Rewe und Aldi den Markt arrondieren und ihre Claims abstecken würden, wäre die Zeit der Preiskämpfe sehr bald zu Ende. Vielleicht bekämen wir dann Zustände wie an den Tankstellen – wo eine imaginäre Hand den Benzinpreis fallen und steigen, wenn möglich aber steigen läßt; wo ein Öl-Multi eine Preiserhöhung ankündigt, und die anderen binnen weniger Tage wie Lemminge und ohne erkennbares Bedauern diesem Beispiel folgen. Die Stoßrichtung ist eindeutig: Gleichmacherei soweit irgend möglich. Rolf Kunisch, Vorstandsvorsitzender von Beiersdorf (»Nivea«), gab in einem Interview eine richtungweisende Weltsicht zum besten. Auf die Frage, warum sich Chinesen wie Peruaner gleichermaßen mit »Nivea« eincremen sollen, antwortete Kunisch: »Die Haut ist weltweit erstaunlicherweise ziemlich standardisiert. Stärker noch als die Haare. Es gibt überall auf der Welt Menschen mit fettiger oder trockener Haut.« – Erst wenn der letzte Chinese gesalbt und der letzte Peruaner eingecremt ist, werdet ihr begreifen, daß man Nivea-Creme nicht essen kann.
Wie man es dreht und wendet, an allen Ecken der schönen neuen Aldi-Welt schimmert die Webart durch; und überall lauert der Kulturpessimiesler, der über das unschöne Bild jammert. Ein Lebensmittelriese, dem nur mit Superlativen beizukommen ist, hat sich mit seinen Regalen eingenistet in den Hirnen. Seine Tarnung ist so perfekt, daß das Geflecht seines wahren Einflusses nicht sichtbar wird. Wenn sich Aldi Lobbyisten gezüchtet oder gekauft hat, agieren sie so professionell diskret, wie es sich empfiehlt auf einem gesellschaftlichen Terrain, das so unübersichtlich geworden ist wie das unsere. Noch haben solche Herolde der Neuen Zeit wie Olaf Henkel, der Präsident des Bundesverbandes der Industrie, eher Unterhaltungswert, wenn sie sich fragen, ob unser Föderalismus überhaupt noch zeitgemäß sei. Die Hohenpriester der Industriereligion sind so weit an der Macht wie nie zuvor in diesem Land. Da kann man schon mal halblaut über die Zerschlagung des Systems nachdenken. Grundgesetz? Über Bord damit. Lean Management für den Staat und seine heimliche Herrscherkaste, Sozialabbau für den großen Rest. Ist schließlich alles nicht mehr zu finanzieren. Der gemeine Wahlberechtigte von nebenan, der Stromverbraucher, Renten- und Krankenkassenbeiträger, Kontoinhaber, Melde- und Schulpflichtige, Fernsehteilnehmer fragt sich langsam schon, welchen Platz ihm noch in diesem Immer-Weniger bleibt. Und bereitet sich, teils zum Trost, teils aus Eigennutz ein einigermaßen erschwingliches Leben, durch Stützkäufe bei Aldi. Dort geht es wenigstens noch reell zu, ist die Welt so, wie sie die letzten Jahrzehnte immer war. Voller erschwinglicher Waren, die einen satt machen, die ohne Werbetamtam verkauft werden. Die Aldisierung des Konsumverhaltens hat die Illusion eines perfekten Mittelwegs aufgebaut: Die Vortäuschung individueller Kaufentscheidung in einem extrem standardisierten Umfeld. Dieser bauknechtartige Glauben, zu wissen, was man hat, schafft eine angenehm einlullende Abhängigkeit. Angelockt von den wöchentlichen Schnäppchen zieht die Karawane nur allzu gerne in diese Oasen des Immergleichen. Wenn es eine politische Partei gibt, die diese Inszenierung auch beherrscht, ist es die CSU. Die hat in 40 Jahren kontrollierter Anarchie den Machterhalt zur Conditio sine qua non ihres Daseins gemacht.
Aber wer weiß, ob nicht die Besetzung des »Mindspace« einem Lebensmitteldiscounter langfristig viel besser gelingt als irgendeiner politischen Partei. Aldi erfüllt überlebensnotwendige Primärbedürfnisse, dieses Wissen sitzt tief im Stammhirn des Homo sapiens sapiens. Der Discounter übersetzt diese Instinkte in ein 1:1-Kaufverhalten mit einem Regelwerk, das dem Kunden nie das Gefühl gibt, etwas Falsches zu kaufen. Daß dabei in den Köpfen alles platt gemacht wird, was sich ohnehin mühsam dort verankern läßt – zum Beispiel jene Haltung, die wir der Einfachheit halber Umweltbewußtsein nennen –, sind die Kosten der grenzenlosen Einkaufsfreiheit. Aldi ist wie nicht wenige Unternehmen parallel zur Geschichte der Bundesrepublik gewachsen. Aber während es das Gemeinwesen nicht verhindern konnte, im Lauf der Jahrzehnte bananenbraune Altersflecken aufzubauen, ist der Lebensmittelmulti ein Strahlemann geworden. Aldi ist das Synonym für eine glänzende wirtschaftliche Karriere, deren Ende nicht abzusehen ist. Das Image
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