Die Alhambra oder das neue Skizzenbuch (German Edition)
Nachtessen.«
»Laß sie sogleich rufen.«
Jetzt gab es neue Verwirrung. Die Kammer des sittsamen Mädchens war gleichfalls leer, ihr Bett war unberührt; sie war ohne Zweifel mit dem Angeklagten davon gegangen, da sie, wie es sich herausstellte, seit mehreren Tagen schon häufige Unterhaltungen mit ihm gepflogen hatte.
Dies verwundete den alten Statthalter an seiner empfindlichen Seite, aber er hatte kaum Zeit, deshalb zu klagen, als sich ihm schon neues Unheil darbot. Als er in sein Wohnzimmer ging, fand er seinen Koffer geöffnet und den ledernen Sack des Reiters gestohlen, und mit ihm ein paar dicke Säcke mit Dublonen.
Aber wie und auf welche Weise waren die Flüchtigen entwischt? Ein alter Bauer, der in einer Hütte an der nach der Sierra führenden Straße lebte, erklärte er habe kurz vor Tagesanbruch den Trab eines starken Pferdes gehört, das sich den Bergen zugewendet. Er habe aus seinem Fenster gesehen und gerade noch einen Reiter mit einem vor ihm sitzenden Mädchen erkannt.
»In den Ställen nachgesehen!« rief Statthalter Manco. Die Ställe wurden durchsucht; alle Pferde waren an ihrer Stelle, nur nicht der Araber. Statt seiner war ein dicker Prügel an die Krippe gebunden und daran ein Zettel, auf welchem die Worte standen: »Geschenk für Statthalter Manco, von einem alten Soldaten.«
Sage von den zwei verschwiegenen Statüen.
Einst wohnte in einem öden Gemache der Alhambra ein lustiger, kleiner Bursche, Namens Lope Sanchez, der in den Gärten arbeitete und so munter und lebendig war wie ein Grashüpfer, und den ganzen Tag sang. Er war das Leben und die Seele der Veste; wenn seine Arbeit gethan war, saß er auf einer der steinernen Bänke der Esplanade, klimperte auf seiner Guitarre und sang lange Lieder auf Cid, und Bernardo del Carpio und Fernando del Pulgar und andere spanischen Helden, zur Unterhaltung der alten Soldaten der Veste, oder schlug einen fröhlicheren Ton an und ließ die Mädchen Boleros und Fantangos tanzen.
Wie die meisten kleinen Leute hatte Lope Sanchez eine große dralle Dirne zur Frau, welche ihn fast in ihre Tasche stecken konnte; allein das gewöhnliche Loos der Armen war ihm nicht zu Theil geworden – statt zehn Kinder hatte er nur eines. Dies war ein kleines schwarzäugiges Mädchen von zwölf Jahren, Sanchica genannt, so lustig wie er und die Freude seines Herzens. Sie spielte um ihn, wenn er in dem Garten arbeitete, tanzte zu den Tönen seiner Guitarre, wenn er im Schatten saß und lief so wild wie ein junges Reh in dem Gebüsch, den Alleen und den verfallenen Sälen der Alhambra umher.
Es war jetzt St. Johannis-Abend und die feiertagfrohen Plaudermäuler der Alhambra, Männer, Weiber und Kinder kamen mit der Nacht den Sonnenberg, der sich über das Generalife erhebt, herauf, um auf dem abgeplatteten Gipfel ihre Mitte-Sommer-Nachtwache zu feiern. Es war eine glänzende Mondscheinnacht und alle Berge waren grau und silbern, und die Stadt lag mit ihren Kuppeln und Kirchthürmen im Schatten drunten, und die Vega glich einem Feenland mit bezauberten Bächen, welche aus dem düstern Laubwerk hervorglänzten. Auf der höchsten Höhe des Berges zündeten sie, nach einer alten Landessitte, die sich von den Mauren herschrieb, Freudenfeuer an. Die Bewohner der umliegenden Gegend hielten eine ähnliche Nachtwache und auf der Vega und den Seiten der Berge entlang glänzten da und dort Feuer blaß empor.
Lopez Sanchez, der nie vergnügter war als bei einer Festlichkeit dieser Art, spielte Guitarre, man tanzte dazu und der Abend verging sehr heiter. Während getanzt wurde, spielte die kleine Sanchica mit einigen ihrer Genossinnen in den Trümmern einer alten maurischen Veste, welche den Berg krönt, und fand, während sie Steinchen in dem Graben suchte, eine kleine sorgfältig in Gagat geschnittene Hand, die Finger geschlossen, und den Daumen fest auf sie gedrückt. Ueberfroh über ihr Glück, lief sie mit ihrem Funde zu der Mutter. Er wurde sogleich ein Gegenstand klugen Nachdenkens und manche betrachteten ihn mit abergläubischem Mißtrauen. »Wirf’s weg« – sagte der eine – »es ist Maurisch – sey überzeugt, es liegt Unheil und Hexerei drin.« – »Keineswegs,« sagte ein Anderer.«du kannst es den Juweliren des Zacatins verkaufen.« Mitten in dieser Verhandlung trat ein dunkelbrauner alter Soldat herzu, der in Afrika gedient hatte und einem Mohren glich. Er untersuchte die Hand mit einem Kennerblick. »Ich habe Dinge dieser Art bei den Mauren der Berberei
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