Die Alhambra oder das neue Skizzenbuch (German Edition)
Häuser der Stadt emporstieg, wie ein Palmbaum sich über das Buschwerk der Wüste erhebt; es war in der That derselbe Thurm, der heute noch steht, und als die Giralda, der berühmte maurische Thurm von Sevilla, bekannt ist.
Der Prinz stieg auf einer hohen Wendeltreppe zu den Zinnen des Thurms empor, wo er den cabalistischen Raben fand – einen alten, geheimnißvollen, grauköpfigen Vogel, mit struppigem Gefieder, und mit einer Haut über dem Auge, welche ihm den starren Blick eines Gespenstes gab. Er saß auf dem einen Bein, drehte seinen Kopf auf die eine Seite, und prüfte mit dem einen ihm bleibenden Auge eine Figur, welche auf das Pflaster gezeichnet war.
Der Prinz näherte sich ihm mit der Ehrfurcht und Scheu, welche ihm sein ehrwürdiges Aussehen und seine übernatürliche Weisheit einflößte. »Vergib mir, alter und nächtlich weiser Rabe,« rief er aus, »wenn ich einen Augenblick diese Studien, welche die Bewunderung der Welt ausmachen, unterbreche. Du siehst einen Jünger der Liebe vor dir, welcher gern deinen Rath hören möchte, wie er zu dem Gegenstand seiner Leidenschaft gelangen könnte.«
»Mit andern Worten,« sagte der Rabe mit einem bedeutungsvollen Blick, »du willst meine Geschicklichkeit in der Chiromantie erproben. Komm, zeige mir deine Hand, und laß mich die geheimnißvollen Glückslinien entziffern.«
»Entschuldige,« versetzte der Prinz, »ich komme nicht, in die Beschlüsse des Schicksals zu schauen, die Allah vor dem Auge der Sterblichen verhüllt hat; ich bin ein Pilger der Liebe, und will nur den Faden zu dem Gegenstand meiner Pilgerschaft finden.«
»Und kannst du in dem liebereichen Andalusien um einen Gegenstand verlegen seyn?« sagte der alte Rabe, mit seinem einen Auge ihn anschielend; »vor allem kannst du in dem üppigen Sevilla in Verlegenheit seyn, wo schwarzäugige Mägdlein die Zambra unter allen Orangen tanzen?«
Der Prinz erröthete, und staunte einigermaßen, einen alten Vogel, mit der einen Kralle im Grabe, so locker sprechen zu hören. »Glaube mir,« sagte er ernst, »ich bin auf keiner so leichten und lustigen Fahrt, wie du mir zumuthest. Die schwarzäugigen Mägdlein Andalusiens, die unter den Orangen des Guadalquivir tanzen, kümmern mich nicht. Ich suche eine unbekannte aber makellose Schönheit, das Vorbild zu diesem Gemälde; und ich bitte dich, höchst mächtiger Rabe, sage mir, wenn es in dem Umfang deines Wissens und in dem Bereich deiner Kunst liegt, wo ich sie finden kann.«
Der grauköpfige Rabe fand sich durch den Ernst des Prinzen getroffen.
»Was weiß ich,« erwiederte er trocken, »von Jugend und Schönheit? Meine Besuche gelten dem Alten und Verwitterten, nicht dem Frischen und Schönen. Des Schicksals Bote bin ich, und krächze das Zeichen des Todes von der Schornsteinspitze, und schlage meine Flügel an des Kranken Fenster. Du mußt anderswo Nachrichten über deine unbekannte Schönheit suchen.«
»Und wo anders soll ich suchen, als bei den Söhnen der Weisheit, die im Buche des Verhängnisses bewandert sind? Ich bin ein Königssohn, von den Sternen zu einem geheimnißvollen Unternehmen, von welchem das Schicksal von Reichen abhängen kann, bestimmt und ausgesendet.«
Als der Rabe hörte, daß es eine Sache von der höchsten Wichtigkeit sey, an welche sich die Theilnahme der Sterne knüpfe, änderte er Sprache und Benehmen, und lauschte der Geschichte des Prinzen mit hoher Aufmerksamkeit. Als dieser geschlossen hatte, versetzte er: »Was diese Prinzessin betrifft, so kann ich selbst dir keine Nachricht geben, denn ich fliege nur um die Gärten und Lauben der Frauen; allein gehe nach Cordova, suche den Palmbaum des großen Abderahman auf, der in dem Hofe der Hauptmoschee steht; am Fuße desselben wirst du einen berühmten Reisenden finden, der alle Länder und Höfe besucht hat, und ein Liebling bei Königinnen und Prinzessinnen war. Er wird dir Kunde über den Gegenstand deines Nachforschens geben.«
»Vielen Dank für diesen köstlichen Nachweis,« sagte der Prinz; »lebe wohl, ehrwürdigster Zauberer.«
»Lebe wohl, Pilger der Liebe.« sagte der Rabe trocken, und begann wieder über die Figur nachzugrübeln.
Der Prinz verließ sofort Sevilla, suchte seinen Reisefährten, der noch in dem hohlen Baum die Augen verdrehte, und reiste nach Cordova ab.
Hängenden Gärten, Orangen-und Citronen-Wäldchen entlang, welche das schöne Guadalquivirthal überschauen, nahten sie der Stadt. Als sie an dem Thore ankamen, flog die Eule in ein
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