Die Alhambra oder das neue Skizzenbuch (German Edition)
welche wunderbare Geheimnisse diese Araber besaßen; die zuversichtliche Sprache des Prinzen erfüllte ihn daher mit Hoffnung. Er führte ihn sogleich zu dem hohen, durch mehrere Thüren vermachten Thurm, auf dessen höchster Höhe das Gemach der Prinzessin war. Die Fenster gingen auf einen Gang mit Geländern und hatten die Aussicht auf Toledo und die Umgegend. Die Fenster waren verhängt, denn die Prinzessin lag drinnen, die Beute eines verzehrenden Kummers, der jede Erleichterung von sich wieß.
Der Prinz setzte sich auf den Gang und blies auf seiner Hirtenpfeife mehrere wilde arabische Weisen, die er von seinen Dienern in dem Generalife zu Granada gelernt hatte. Die Prinzessin blieb gefühllos und die Doctoren, die zugegen waren, schüttelten ihre Köpfe, und lächelten ungläubig und verächtlich. Endlich legte der Prinz die Pfeife bei Seite und sang in einer einfachen Melodie die Liebesverse, durch welche er in dem Briefe seine Leidenschaft erklärt hatte.
Die Prinzessin erkannte die Worte – eine rasche Freude stahl sich in ihr Herz; sie erhob ihr Haupt und lauschte; Thränen brachen aus ihren Augen und strömten über ihre Wangen nieder; ihr Busen hob sich und fiel in dem Aufruhr der Gefühle. Sie hätte gern begehrt, daß der Sänger vor sie gebracht werde, aber jungfräuliche Scheu hielt sie zurück. Der König errieth ihren Wunsch und auf seinen Befehl wurde Ahmed in das Gemach geführt. Die Liebenden waren klug; sie wechselten nur Blicke, aber diese Blicke sprachen unendlich viel. Der Triumph der Musik war nie vollständiger. Die Rose kehrte auf die sanfte Wange der Prinzessin zurück, die Frische auf ihre Lippen und das thauige Licht in ihre schmachtenden Augen.
Alle anwesenden Aerzte starrten einander verwundert an. Der König betrachtete den arabischen Sänger mit einem Gemisch von Bewunderung und Ehrfurcht. »Wunderbarer Jüngling!« rief er aus, »du sollst fortan der erste Arzt meines Hofes seyn und kein anderes Recept will ich brauchen als deinen Gesang. Für jetzt empfange deinen Lohn, den kostbarsten Juwel in meiner Schatzkammer.«
»O König,« versetzte Ahmed: »Ich setze keinen Werth auf Silber, Gold oder Edelstein. Eine Reliquie hast du in deiner Schatzkammer, welche von den Moslemin, denen einst Toledo gehörte, herstammt – ein Kistchen von Sandelholz, welches einen seidenen Teppich enthält: gib mir dieses Kistchen und ich bin zufrieden.«
Alle Anwesenden staunten über die Genügsamkeit des Arabers; dies war noch mehr der Fall, als das Kistchen von Sandelholz gebracht und der Teppich hervorgezogen wurde. Er war von schöner grüner Seide, mit hebräischen und chaldäischen Charakteren bedeckt. Die Hofärzte blickten einander an, zuckten die Schultern und lächelten über die Einfalt dieses neuen Arztes, der sich mit einem so elenden Lohn begnügte.
»Dieser Teppich,« sagte der Prinz, »deckte einst den Thron Salomons des Weisen; er ist werth, daß man ihn zu Füßen der Schönheit legt.«
Bei diesen Worten breitete er ihn auf dem Gang, unter einer Ottomanne aus, die für die Prinzessin gebracht worden war; dann setzte er sich ihr zu Füßen und sagte:
»Wer wird hindern, was in dem Buche des Schicksals geschrieben steht? Seht, die Weissagung der Astrologen ist erfüllt. Wisse, o König, daß deine Tochter und ich uns lange insgeheim liebten. Sieh in mir den Liebespilger.«
Diese Worte waren kaum von seinen Lippen, als der Teppich sich in die Luft erhob und den Prinzen und die Prinzessin entführte. Der König und die Aerzte blickten ihm mit offenem Munde und weit geöffneten Augen nach, bis er ein kleiner Fleck an der weißen Brust einer Wolke wurde und dann an dem blauen Himmelsgewölbe verschwand.
Der König war in Wuth und ließ seinen Schatzmeister kommen: »Wie kömmt es,« rief er, »daß du einen Ungläubigen in den Besitz eines solchen Talismans kommen ließest?«
»Ach, Herr, wir kannten seine Kraft nicht und konnten die Inschriften auf dem Kistchen nicht entziffern. Wenn es wirklich der Teppich des Throns des weisen Salomon ist, so besitzt er magische Kraft und kann seinen Besitzer von Ort zu Ort durch die Luft tragen.«
Der König sammelte ein mächtiges Heer und brach nach Granada auf, die Flüchtigen verfolgend. Der Weg war lang und mühselig. Auf der Vega ließ er Halt machen und schickte einen Herold ab, um die Rückgabe seiner Tochter zu verlangen. Der König selbst kam ihm mit seinem ganzen Hof entgegen. In dem König sah er den leibhaften Sänger, denn
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