Die Alhambra oder das neue Skizzenbuch (German Edition)
Ausdrucksweise den Namen »die Rose der Alhambra« gegeben.
Die bedächtige Tante fuhr fort, über die verführerische kleine Nichte so lange die treueste Wache zu halten, als der Hof zu Granada weilte, und sie schmeichelte sich, daß ihre Wachsamkeit erfolgreich sey. Es ist wahr, die gute Frau wurde dann und wann über das Klimpern von Guitarren und das Singen von Liedchen, die leise aus dem mondbeglänzten Gebüsch unten am Thurme heraufklangen, mürsch und ärgerlich; aber sie ermahnte dann stets ihre Nichte, das Ohr gegen solche eitle Singerei zu schließen, indem sie sie versicherte, dies sey einer der Kunstgriffe des »entgegengesetzten Geschlechtes,« durch welche einfache Mädchen oft in ihr Verderben gelockt würden. Ach! was vermag bei einem einfachen Mädchen eine trockne Predigt gegen ein Mondschein-Ständchen.
Endlich hob König Philipp seinen Aufenthalt zu Granada auf und reiste plötzlich mit seinem ganzen Gefolge ab. Die wachsame Fredegonda gab auf den königlichen Zug acht, wie er aus dem Thor der Gerechtigkeit herauskam und den großen Weg, der in die Stadt führt, hinabging. Als die letzte Fahne aus ihrem Auge entschwand, wendete sie sich freudig zu dem Thurm, denn alle ihre Sorgen waren vorüber. Zu ihrem Staunen scharrte ein leichtes arabisches Pferd den Boden am Gartenpförtchen: – zu ihrem Schrecken sah sie durch das Rosengebüsch einen Jüngling in buntschmuckem Kleid zu den Füßen ihrer Nichte. Bei dem Schall von Fußtritten bot er ihr ein zärtliches Lebewohl, sprang leicht über den Myrthen-und Schilfzaun, schwang sich auf sein Roß und war augenblicklich verschwunden.
Die zärtliche Jacinta verlor in der Heftigkeit ihres Kummers jeden Gedanken an den Unwillen ihrer Tante. Sie stürzte sich in ihre Arme und brach in Seufzer und Thränen aus.
»Ay de mi!«
rief sie: »er ist fort! – er ist fort! – er ist fort! – und ich werde ihn nie wieder sehen!«
»Fort? – Wer ist fort? Was war dies für ein Jüngling, den ich zu deinen Füßen sah?«
»Ein Page der Königin, Tante, der mir Lebewohl gesagt hat.«
»Ein Page der Königin, Kind!« wiederholte die wachsame Fredegonda schwach: »Und wann wurdest du mit einem Pagen der Königin bekannt?«
»Am Morgen, an welchem der Geierfalke in den Thurm kam. Es war der Königin Geierfalke – er suchte ihn bei uns.«
»O albernes, albernes Mädchen! wisse, daß es keine Geierfalken gibt, die halb so gefährlich sind, wie diese jungen windigen Pagen, und grade so einfältige Vögel, wie du einer bist, fassen sie am ersten mit ihren Krallen.«
Die Tante war anfangs unwillig, als sie erfuhr, daß, trotz ihrer gerühmten Wachsamkeit, ein zärtlicher Verkehr von dem jungen Liebespaar fast unter ihren Augen unterhalten worden war; als sie aber fand, daß ihre arglose Nichte, obgleich sie so, ohne den Schutz von Riegel und Schloß, den Ränken des entgegengesetzten Geschlechtes ausgesetzt war, die Feuerprobe unversengt bestanden hatte, tröstete sie sich mit der Ueberzeugung, daß solches nur den keuschen und vorsichtigen Grundsätzen zuzuschreiben sey, in welche sie sich so zu sagen bis an die Lippen getaucht hatte.
Während die Tante diese lindernde Salbe auf ihren Stolz legte, erinnerte sich die Nichte der oft wiederholten Schwüre der Treue des Pagen. Aber was ist die Liebe des rastlosen, umstreifenden Mannes? Ein irrer Strom, der eine Zeitlang mit jeder Blume an seinem Ufer tändelt, dann dahinfließt und sie alle in Thränen zurückläßt.
Tage, Wochen, Monden vergingen und keine Kunde kam von dem Pagen. Die Granate reifte, die Rebe bot ihre Frucht, die Herbstregen stürzten in Strömen von den Bergen nieder; die Sierra Nevada umkleidete sich mit ihrem schneeigen Mantel und die Winterstürme heulten durch die Säle der Alhambra – immer kam er nicht. Der Winter verging. Wieder brach der muntere Frühling hervor, von Gesang, Blüthen und duftigen Zephyren begleitet; der Schnee schmolz auf den Bergen, bis keiner mehr blieb als der auf dem luftigen Gipfel der Nevada, der durch die warme Sommerluft glänzte. Aber immer ließ sich nichts von dem vergeßlichen Pagen hören.
Unterdessen wurde die arme kleine Jacinta blaß und gedankenvoll. Sie gab ihre früheren Beschäftigungen und Vergnügen auf, ihre Seide lag verwirrt da, die Guitarre unbezogen, ihre Blumen wurden vergessen, die Töne ihres Vogels überhört und ihre, sonst so glänzenden Augen waren von heimlichem Weinen getrübt. Wenn irgend eine Einsamkeit geeignet ist, die
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