Die Alptraum-Frau
mehr gekommen. Ross war verschwunden. Von einem auf den anderen Tag. Spurlos. In Luft aufgelöst. Man hatte auch seine Leiche nicht gefunden, und Janine hoffte noch immer, dass die Themse sie irgendwann anschwemmen oder man ihn halbverwest in einem Waldstück fand. Das war nicht passiert.
Seit drei Wochen war er jetzt weg. Sie wusste nicht einmal, ob er wirklich tot war, Sollte er noch leben, dann hätte er sich zumindest melden können, schon allein wegen Benny, ihrem gemeinsamen Sohn, der bei der Mutter lebte.
Die Gläubiger, die Fahnder, die Wirtschaftsprüfer, wie immer sie sich auch nannten, hatten es natürlich bei ihr versucht, aber ohne Erfolg, denn sie wusste nicht Bescheid. Es kam ihr nun zugute, dass sie von Ross geschieden war, so konnte bei ihr nichts geholt werden. Ihr selbst ging es recht gut, denn zu besseren Zeiten hatten sie sich einen gesunden Grundstock an Geld zurücklegen können, der genügend Zinsen abwarf, um einigermaßen über die Runden zu kommen. Da brauchte sie das Grundkapital nicht einmal anzugreifen.
Janine zündete sich eine Zigarette an, blies den Rauch über den Tisch hinweg und lachte, als sie auf die gestapelten Briefe schaute, die neben der Kaffeetasse einen kleinen Turm bildeten. Alles Schreiben der Leute, die Geld haben wollten und mit dem Gericht drohten. Man hatte die Briefe aus dem Büro ihres Mannes geholt, sie fotokopiert und ihr die Originale gegeben.
Nichts, gar nichts konnte sie damit anfangen. Sie hatte mit den Geschäften ihres Mannes nichts am Hut gehabt. Ross war immer seinen eigenen Weg gegangen, privat oft auch, denn unter seinen Affären hatte sie sehr gelitten. Am meisten unter dem Verhältnis, das er mit seiner Mitarbeiterin begonnen hatte, einer farbigen Frau aus der Karibik. Sie hatte Ross auch öfter auf Dienstreisen begleitet, die stets in irgendwelchen Hotelbetten geendet hatten.
Das war vorbei. Janine ärgerte sich auch nicht mehr, und seine Sekretärin war ebenfalls stundenlang von der Polizei verhört worden, ohne eine Auskunft zu geben, denn sie hatte von nichts gewusst. Selbst sie war von Ross nicht in seine genauen Pläne eingeweiht worden. Er war einfach abgetaucht und verschwunden.
Nicht mehr gemeldet…
So ganz stimmte das nicht. Er hatte sich gemeldet. Aber nicht bei ihr und auch nicht auf die normale Art und Weise. Deshalb hatte Janine auch nichts der Polizei gesagt, weil sie sich einfach nicht lächerlich machen wollte.
Ben hatte von der Stimme seines Vaters gesprochen, die ihn in der Nacht erreicht hatte. Er hatte ihn gehört. Angeblich hatte er seinem Sohn erklärt, wie gut es ihm ging, und dass er ihn bald einmal besuchen würde.
Janine konnte das nicht glauben. Sie tat es als Wunschtraum ihres neunjährigen Sohnes ab, der an seinem Vater gehangen und ihn auch bewundert hatte.
Es war auch kein normaler Kontakt gewesen. Eine Stimme im Traum oder im Halbschlaf. Eine aus dem Jenseits, wie Benny mit großem Ernst erklärt hatte.
So etwas konnte eine Frau wie Janine Calderon nicht glauben. Sie war jemand, der mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen stand.
Bennys Aussagen waren wirr. Er schaute zuviel in die Glotze, in der immer mehr Mystery-Serien liefen. Durch sie musste er ja einfach beeinflusst werden.
Obwohl, und da war sie schon nachdenklich geworden, ihr Sohn Benny sich einfach nicht davon abbringen ließ. Er war fest davon überzeugt gewesen, die Stimme seines Vaters gehört zu haben. Und er glaubte auch an einen Besuch. Sonst hatte es Janine immer geschafft, ihn zu beeinflussen, das war ihr diesmal nicht gelungen. Benny war bei seiner Meinung geblieben. Er hatte Osterferien und schlief um diese Zeit noch. Eigentlich hatten sich Mutter und Sohn vorgenommen, loszuziehen und einige Sachen für Benny zu kaufen, doch das Wetter sah nicht danach aus, als sollten sie dabei Spaß bekommen.
Janine war 35. Eine Frau in den besten Jahren, aber die letzten Monate vor allen Dingen waren für sie verdammt schwer gewesen. Die Scheidung hatte Spuren bei ihr hinterlassen. Sie fühlte sich älter und sah auch so aus. Daran änderte auch das hennarot gefärbte Haar nicht viel.
Unter den Augen zeichneten sich Ringe ab wie bei einem dieser dürren Mannequins, die auf einen Zombie-Look geschminkt worden waren.
Die Zigarette hatte sie ausgedrückt. Die Tasse war leer, und die Scheibe Toast hatte ihr nicht geschmeckt. Aber sie musste etwas essen, um den Magen zu beruhigen.
Sie stand auf und ging ins Bad. Dabei passierte sie die Tür zu
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