Die Alptraum-Frau
das Fenster und schaute nach draußen.
Der Blick war nicht berauschend. Er fiel auf weitere Wohnsiedlungen und auf einige Industrieanlagen dazwischen. Alles sah grau in grau aus und hatte sich dem Himmel angepasst. Aus einem Schornstein quoll ebenfalls grauer Rauch, der sich sehr bald mit den tiefhängenden Wolken vermischte.
Verkehrslärm drang zu ihr hoch. Sie hörte auch die Eisenbahn, die den nicht weit entfernt liegenden Bahnhof durchfuhr. Die Gleise allerdings waren nicht zu sehen.
Sie ließ das Fenster offen, schaute nach der Milch, die mittlerweile heiß geworden war, und rührte das braune Pulver hinein. Gedanklich war sie dabei weit weg, wurde aber aus diesem Traum hervorgerissen, als sie die Stimme hörte.
»Warum stellst du dich quer?«
Janine hatte Glück, dass sie durch die heftige Bewegung nicht die Tasse umriss. So schnell drehte sie sich um, denn die Stimme ihres Mannes hatte sie genau gehört. Hinter sich.
Jetzt hätte er eigentlich vor ihr stehen müssen, aber da war nichts zu sehen. Irrtum? Täuschung? Einbildung? Janine wusste es nicht und konzentrierte sich zunächst einmal auf ihr starkes Herzklopfen. Der Schreck war ihr in die Glieder gefahren.
Sie bewegte ihren Kopf, und das ziemlich hektisch. Nur so konnte sie in jede Ecke der kleinen Küche hineinschauen, weil sie einfach damit rechnete, dass sich ihr geschiedener Mann dort versteckt hielt. Das traf nicht zu. Sie hätte ihn sehen müssen, und in einen der Schränke war er bestimmt nicht gekrochen.
Janine Calderon fing sich wieder. Trotzdem schlug sie mit der flachen Hand gegen die Stirn und fragte sich, ob sie mittlerweile schon verrückt geworden war. Hatte sie sich durch ihren Sohn anstecken lassen? Hörte sie jetzt schon Stimmen, wo es gar keine gab?
Es war niemand da. Und es war auch niemand durch das offenstehende Fenster geklettert. Trotzdem ging sie darauf zu und schaute hinaus, weil sie daran dachte, dass er sich eventuell außen an der Hauswand aufhielt und von dort aus in die Küche hineingerufen hatte.
Nein, auch dort war er nicht. Außerdem war die Hauswand zu glatt.
Irgendwelche Balkone gab es ebenfalls nicht.
Benny hatte von einem Geist gesprochen, und Janine hatte eine geisterhaft klingende Stimme gehört, sie aber trotzdem als die ihres Mannes erkannt. Das war nicht zu fassen, auch nicht zu erklären, und sie musste da einfach durch.
Benny betrat die Küche. Frisch angezogen. Der Kakao war inzwischen fertig. Benny setzte sich noch nicht und fragte nur: »Was hast du denn, Mummy?«
»Wieso? Was sollte ich haben?«
»Du siehst so komisch aus. Richtig blass.«
»Meinst du?«
»Ja.«
»Es ist nichts.«
Benny ging zum Tisch und setzte sich. »Gehen wir trotzdem noch in die Stadt einkaufen?«
»Ja, ja, ja…«, sagte sie leise und griff zur Zigarettenschachtel. Am liebsten hätte sie jetzt einen Brandy getrunken. Darauf verzichtete sie, weil sie ihrem Sohn kein schlechtes Vorbild sein wollte.
Innere Ruhe fand Janine Calderon nicht. Irgend etwas Schreckliches und Unerklärliches braute sich über ihr und ihrem Sohn zusammen…
***
»Claudia Burns«, sagte ich.
»Na und? Was ist mit ihr?«
»Sie wohnt nicht schlecht.«
Suko nicke. »Stimmt.«
Wir waren in einem der neuen Wohnparks gelandet, in denen die Miete recht hoch war, weil es keine Hochhäuser waren, sondern die Höhe von drei Etagen nicht überschritten wurde.
Es störte die hier lebenden Menschen auch nicht, dass sie auf einer ehemaligen Müllkippe lebten. Sie war eingeebnet worden, nachdem man das Zeug abgetragen hatte, und angeblich war der Boden auch nicht verseucht. Das wusste ich noch aus den Zeitungsberichten, die ich nicht vergessen hatte, denn dieser Bau lag knapp ein halbes Jahr zurück. Noch während der Fertigstellung hatte es starke Bürgerproteste gegeben, die allesamt nichts gebracht hatten.
Sechs neue Häuser standen hier und alle in verschiedenen Winkeln zueinander. Wären es mehr gewesen, dann wäre der große Irrgarten perfekt gewesen. Die Schönheit der Umgebung hielt sich in Grenzen.
Noch, denn man war dabei, auch Grünanlagen herzustellen. Parkplätze jedenfalls gab es, und dort hatten wir auch den Rover abgestellt.
Claudia Burns wohnte in einem Haus, auf dessen Breitseite wir vom Parkplatz her schauten. Die Fassade war in einem lichten Gelb gestrichen worden, was bei diesem trüben Tag auch nicht viel half. Da sah alles grau in grau aus. Der Regen hatte zwar aufgehört, dafür war Wind aufgekommen, der scharf in unsere
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