Die Alptraum-Frau
eingegangen.
Calderon zog den Revolver zu sich heran. Nahe der Schreibtischkante blieb er liegen. Es war ein .38er Smith & Wesson. Die Trommel war mit sechs Kugeln gefüllt. Er hob ihn an.
Die Waffe war nie leicht gewesen. In diesem Augenblick aber kam sie ihm noch schwerer vor. Seine Hand knickte weg, doch der Revolver rutschte ihm nicht aus den Fingern. Er lag auf seinem rechten Oberschenkel. Mit dem Stuhl war Calderon ein Stück zurückgefahren, da er mehr Platz haben wollte. Der Schreibtisch sollte ihn nicht stören.
Er atmete scharf aus. Plötzlich dachte er daran, was wohl seine Familie dazu sagen würde, besser gesagt, die ehemalige Familie, denn ein Leben mit Frau und Kindern zusammen führte er nicht mehr. Calderon war geschieden. Die beiden Kinder waren bei Janine geblieben, und er hatte so gut wie keinen Kontakt zu den dreien. Hin und wieder war es zu Begegnungen gekommen, doch sie waren immer nur flüchtig gewesen, kaum der Rede wert.
Er schaute auf die Waffe. Klobig sah sie aus und trotzdem irgendwie geschmeidig. Sich selbst bedauerte er nicht mehr. Alles war so anders geworden und auch einfach.
»Tja, das ist es dann wohl gewesen«, flüsterte er sich zu. »Manchmal hat man Glück, manchmal hat man Pech.« Er hatte eben in den letzten Jahren Pech gehabt und musste die Konsequenzen daraus ziehen.
Die Waffe hielt er in der rechten Hand. Sehr langsam hob er seinen Arm an. Er schaute dabei auf den Revolver, der die Bewegung mitmachte. Er kam höher und höher. Calderon drehte ihn, damit er in die Mündung blicken konnte. Sie war kreisrund, sie war so tief und schien ins Unendliche hineinzutauchen.
Das Gesicht des Mannes war und blieb starr. Bis auf das Lächeln, das sich um seinen Mund herum eingekerbt hatte. Ein verlorenes Lächeln.
Es zeugte davon, dass ihm der Selbstmord nicht leicht fiel. Niemand schied so leicht aus dem Leben. Und gerade Calderon hatte zu leben gewusst. Er hatte es genossen, in vollen Zügen, und er hatte nichts ausgelassen.
Noch einmal schloss er die Augen. Er wusste nicht, ob er sie auch schließen konnte oder würde, wenn er sich den Waffenlauf in den Mund geschoben hatte. Es war für ihn so etwas wie ein Test, doch ein Zurück gab es für ihn nicht.
Die Hand mit der Waffe wanderte höher. Calderon schaute sie an.
Noch hielt er die Lippen geschlossen. Es änderte sich, als die Waffe die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatte.
Er öffnete seinen Mund. Erinnerte an ein Baby, das bereit war, die Nahrung zu schlucken. Die Zungenspitze fuhr dabei über die trockenen Lippen hinweg.
Dann war es soweit.
Der Rand der Mündung berührte seine Unterlippe. Der Stahl war nicht einmal so kalt. Auch nicht warm. Er fühlte sich für Calderon irgendwie angenehm an.
Noch einmal holte er Luft. Diesmal durch die Nase. Dabei lauschte er seinem eigenen Schnaufen. Der Mund blieb offen. Speichel sammelte sich und floss in der Mundhöhle zusammen. Es war okay. Das kannte er vom Zahnarzt her. Nur war hier niemand, der den Speichel absaugte.
Er hatte Selbstmorde dieser Art oft genug in Kinofilmen gesehen. Man musste die Mündung und damit auch den Lauf nur weit genug in den Mund hineinschieben und die Waffe dann etwas kanten. Damit die Kugel schräg in seinen Schädel rammen konnte.
Er tat es. Komisch kam er sich schon dabei vor. Es mochte auch daran liegen, dass er die Hand drehen musste. Leicht einknicken. Er spürte dabei das Ziehen im Gelenk und streckte den Zeigefinger aus, um den Abzug zu finden.
Es war für ihn mehr als ungewohnt, die Waffe im Mund zu spüren. Er ekelte sich plötzlich davor. Seine Zunge leckte am Metall entlang und nahm den Geschmack von Öl oder Fett wahr. Es war ihm egal. Das gehörte dazu. Calderon war in den letzten Minuten seines Lebens nur übersensibilisiert worden. Damit zurechtzukommen, fiel ihm schwer.
Endlich hatte der Finger den Abzug gefunden. Der Mann wunderte sich, dass alles so einfach war. Allerdings wusste er auch, dass es noch ein Hindernis gab.
Das Abdrücken! Der ultimative und auch tödliche Kick. Nur war er im Vergleich zu dem, was ihm noch bevorstand, wenn er sich nicht umbrachte, harmlos. Es musste sein. Kein Weg zurück.
Er schloss die Augen. Langsam diesmal. Wie jemand, der genussvoll von der Welt Abschied nimmt und sich die letzten Eindrücke so lange wie möglich erhalten will.
Die Zunge zuckte. Er schluckte noch einmal Speichel. Der ölige Geschmack blieb. Ihn würde er als letzte Erinnerung mit auf die lange Reise nehmen. Wieder
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