Die alte Jungfer (German Edition)
die schrägen Stützsparren eines Zimmers, das über den Fluß hing, die Gärtchen, in denen Lumpen zum Trocknen hingen, die Werkstatt des Schreiners, all dieses Elend der kleinen Stadt, dem die Nähe des Wassers, eine hängende Trauerweide, Blumen, ein Rosenstock soviel malerische Anmut verleihen. Der Chevalier studierte alle Gesichter, weil schon der Brand, den er entfacht hafte, sich bereits den besten Kreisen der Stadt mitgeteilt hatte; aber noch sprach niemand laut von der großen Neuigkeit: Suzanne und Du Bousquier. Die Leute der Provinz verstehen im höchsten Grade die Kunst, einen Klatsch vorzubereiten. Der Moment zur Unterhaltung über dieses seltsame Abenteuer war noch nicht gekommen, es überlegte sich noch jeder, was er zu sagen habe. Vorläufig flüsterte man sich ins Ohr: »Sie wissen?« – »Ja.« – »Du Bousquier?« – »Und die schöne Suzanne.« – »Mademoiselle Cormon weiß noch nichts?« – »Nein.« – »Ach!«
Es war das ›Piano‹ des Klatsches. Das ›Rinforzando‹ sollte erst beginnen, wenn man bei der ersten Vorspeise spielt. Plötzlich faßte Monsieur de Valois Madame Granson ins Auge, die ihren grünen Hut mit den Aurikelsträußchen aufgepflanzt hatte und deren Gesicht vor Ungeduld zuckte. War es die Lust, das Konzert zu beginnen? Obwohl eine solche Neuigkeit in dem ereignisarmen Leben dieser Leute wie eine auszubeutende Goldmine war, glaubte der scharf beobachtende, mißtrauische Chevalier bei der guten Frau den Ausdruck eines noch tieferen Gefühls zu bemerken: die Freude über den Sieg einer persönlichen Sache! :.. Sogleich drehte er sich um, um Athanase zu prüfen, und überraschte ihn in der bedeutsamen Haltung größter Vertieftheit. Ein Blick, den der junge Mann auf den Brustkasten Mademoiselle Cormons warf, der zwei Regimentspauken glich, ließ in der Seele des Chevaliers ein plötzliches Licht aufgehen. Dieser Blitz erhellte ihm mit einem Male die ganze Vergangenheit. ›Ach, zum Teufel! Das habe ich dumm angefangen!‹
Monsieur de Valois näherte sich Mademoiselle Cormon und reichte ihr den Arm, um sie in den Speisesaal zu führen. Die alte Jungfer hegte für den Chevalier große Hochachtung, denn sein Name und die Stellung, die er in den aristokratischen Kreisen des Departements einnahm, bildeten die Hauptzierde ihres Salons. Vor ihrem innern Forum sagte sie sich seit zwölf Jahren, daß sie Madame de Valois werden wolle. Dieser Name war, was den Rang, den Adel und die äußern Vorzüge einer Partie angeht, wie ein Zweig, an dem ihre Gedanken hängenblieben, wenn sie aus ihrem Hirn ausschwärmten; aber wenn der Chevalier de Valois der vom Herzen, vom Verstand, vom Ehrgeiz Erwählte war, so verursachte ihr diese alte Ruine, obwohl sie wie ein Prozessionsheiliger frisiert war, doch ein gewisses Grauen: wenn sie auch einen Edelmann in ihm sah, so sah das Mädchen in ihm doch keinen Ehemann. Die von dem Chevalier im Punkte der Ehe geheuchelte Gleichgültigkeit und besonders seine vorgebliche Sittenreinheit in einem Hause, das voller Grisetten war, taten ihm ganz gegen seine Voraussicht enormen Abbruch. Dieser Edelmann, der in der Sache der Lebensrente so richtig gesehen hatte, täuschte sich in diesem Punkt. Ohne daß sie es selbst wußte, ließen sich die Gedanken Mademoiselle Cormons über den allzu tugendhaften Chevalier ungefähr also wiedergeben: ›Wie schade, daß er nicht ein bißchen leichtfertig ist!‹ Die Erforscher des menschlichen Herzens haben beobachtet, daß die Frömmlerinnen eine Neigung für lockere Vögel haben, und fanden, daß dieser Geschmack im Widerspruch zu der christlichen Tugend stehe. Aber, welche Aufgabe ist geziemender für die tugendhafte Frau, als, gleich der Kohle, die trüben Wasser des Lasters zu reinigen? Und dann: Ist es nicht natürlich, daß die edlen Geschöpfe, die zu strenge Prinzipien haben, um die eheliche Treue jemals zu überschreiten, sich einen Gatten von großer praktischer Erfahrung wünschen? Lockere Vögel sind groß in der Liebe. So bejammerte es die gute Mademoiselle, daß ihr erwähltes Gefäß in zwei Stücke gebrochen war. Gott allein konnte den Chevalier de Valois und Du Bousquier zusammenschweißen. Um die Wichtigkeit der wenigen Worte zu verstehen, die der Chevalier und Mademoiselle Cormon im Begriff waren miteinander auszutauschen, muß man zwei ernste Angelegenheiten, die in der Stadt im Umlauf waren und über die die Meinungen auseinandergingen, berühren. Du Bousquier war auf geheimnisvolle Weise damit
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