Die alte Jungfer (German Edition)
die Kinnbacken sich so bewegen, als läge ein Verbot darauf, welches dahin zielt, die Gesetze der Anatomie Lügen zu strafen. In Paris ißt man nicht herzhaft darauflos, man unterdrückt seinen Genuß, während in der Provinz die Dinge natürlich zugehen und man sich vielleicht ein wenig zu sehr auf diese große und allgemeine Existenznotwendigkeit, zu der Gott seine Geschöpfe verdammt hat, konzentriert. Es war am Ende des ersten Ganges, als Mademoiselle Cormon ihren berühmtesten Schnitzer vom Stapel ließ, denn man sprach zwei Jahre lang davon, und die Sache wird bei den Zusammenkünften der Kleinbürger von Alençon, wenn von ihrer Heirat die Rede ist, noch heute erzählt. Die Unterhaltung, die beim Angriff auf die vorletzte Vorspeise sehr angeregt und wortreich geworden war, hatte sich naturgemäß dem Thema des Theaterbaus und des Priesters, der auf die Verfassung geschworen hatte, zugewandt. In der ersten Hitze des Royalismus um 1816 wollten diejenigen, die man späterhin die Jesuiten des Landes nannte, den Abbé François seines Amtes entsetzen. Du Bousquier, den Monsieur de Valois in Verdacht hatte, die Stütze des Priesters und der Urheber dieser Intrige zu sein, und dem der Edle sowieso mit seiner gewöhnlichen Geschicklichkeit alles zugeschoben hätte, saß auf dem Armsünderstühlchen, ohne daß jemand ein Wort zu seiner Verteidigung sagte. Athanase, der einzige Gast, der Offenheit genug besaß, um eine Lanze für Du Bousquier zu brechen, war nicht in der Lage, vor diesen Machthabern von Alençon, die er übrigens sehr dumm fand, seine Gedanken darzulegen. Nur die jungen Männer der Provinz sind gewöhnt, Leuten eines gewissen Alters gegenüber eine respektvolle Haltung zu bewahren und ihnen weder entgegenzutreten, noch ihnen heftig zu widersprechen. Die Unterhaltung, die durch köstliche Enten mit Oliven niedergehalten war, fiel schließlich ganz unter den Tisch. Mademoiselle Cormon, auf den Erfolg ihrer eigenen Enten eifersüchtig, wollte Du Bousquier, den man als einen gefährlichen Ränkeschmied hinstellte und den man zu allem fähig hielt, in Schutz nehmen.
»Ich glaubte«, sagte sie, »Monsieur du Bousquier beschäftigte sich nur mit Kindereien.«
Unter den gegenwärtigen Umständen hatte dies Wort eine überwältigende Wirkung. Mademoiselle Cormon erfreute sich eines großen Triumphes. Sie bewirkte, daß die Prinzessin Goritza mit der Nase auf den Tisch fiel. Der Chevalier, der auf eine so treffende Bemerkung von Seiten seiner Dulzinea nicht gefaßt war, war so verwundert, daß er zunächst kein Wort des Lobes fand, um seinen Beifall treffend auszudrücken; er applaudierte geräuschlos, indem er die Fingerspitzen aneinandertippte, wie man es in der Italienischen Oper macht.
»Sie ist himmlisch geistreich«, sagte er zu Madame Granson; »ich habe immer gesagt, daß sie eines Tages ihre Geschütze auffahren lassen wird.« – »Aber beim intimen Zusammensein ist sie entzückend«, antwortete die Witwe.
»Beim intimen Zusammensein, Madame, haben alle Frauen Geist«, erwiderte der Chevalier.
Nachdem sich das homerische Gelächter gelegt hatte, fragte Mademoiselle Cormon nach dem Grund ihres Erfolges, Nunmehr begann das ›Forte‹ des Klatsches. Du Bousquier wurde als unverehelichter Vater Gigogne geschildert, als ein Ungeheuer, das seit fünfzehn Jahren das Findelhaus ganz allein versorgte; endlich lag seine Sittenverderbtheit klar auf der Hand, ein würdiges Seitenstück zu seinen Pariser Saturnalien usw. Unter der Anführung des Chevaliers de Valois, des geschicktesten Dirigenten für solche Orchester, wurde die Ouvertüre dieses Klatsches prachtvoll.
»Ich weiß nicht«, begann er mit wohlmeinender Miene, »was einen Du Bousquier hindern könnte, eine Mademoiselle Suzanne Soundso – wie heißt sie? Suzette! – zu heiraten. Obwohl ich bei Madame Lardot wohne, kenne ich diese kleinen Mädchen nur vom Sehen. Wenn diese Suzon ein großes schönes Mädchen ist, herausfordernd, mit grauen Augen, schlanker Taille, kleinem Fuß – ich habe, wie gesagt, kaum auf sie geachtet, doch ist mir ihr Auftreten sehr keck vorgekommen –, so ist sie in Manieren diesem Du Bousquier noch sehr überlegen. Im übrigen hat Suzanne den Adel der Schönheit; von diesem Gesichtspunkt wäre diese Heirat also eine Mesalliance für sie. Sie wissen, daß der Kaiser Joseph in Lucienne begierig war, die Dubarry zu sehen; er reichte ihr seinen Arm, um sie spazieren zu führen; das arme Mädchen, das von soviel Ehre
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