Die alte Jungfer (German Edition)
Uniform, gerade wie Soldaten. Wie lächerlich!«
»Da hat man die Resultate!« sagte der Chevalier und deutete auf Athanase. »Hätte sich zu meiner Zeit jemals ein junger Mann geschämt, eine hübsche Frau anzusehen? Der da schlägt die Augen nieder, wenn er Sie sieht. Mir ist bange um den jungen Mann, weil er mich interessiert. Sagen Sie ihm, er soll nicht mit den Bonapartisten für diesen Theaterbau gemeinsame Sache machen. Wenn diese jungen Leute es nicht auf dem Wege des Aufstandes, denn das ist für mich gleichbedeutend mit konstitutionell, verlangen, wird die Regierung es schon bauen. Und sagen Sie seiner Mutter, daß sie ihn im Auge behält.«
»Oh, ich weiß genau, daß sie ihn nicht mit den auf Halbsold gesetzten Leuten und der schlechten Gesellschaft zusammenkommen läßt. Ich werde mit ihr sprechen«, erwiderte Mademoiselle Cormon, »denn er könnte seinen Posten im Rathaus verlieren. Und wovon sollten dann er und seine Mutter leben? Das macht einen schaudern!«
Der Chevalier sagte zu sich selbst, während er Mademoiselle Cormon ansah, was Monsieur de Talleyrand über seine Frau sagte: ›Meiner Treu, man finde mir eine, die dümmer ist! Ist nicht die Tugend, die die Intelligenz tötet, ein Laster? Aber welche entzückende Frau! Welche Prinzipien! Welche Unwissenheit!‹
Man begreift, daß dieser Monolog an die Prinzessin Goritza gerichtet war und daß ihm eine Prise folgte.
Madame Granson hatte bemerkt, daß der Chevalier von Athanase sprach. Voll Begierde, das Ergebnis dieser Unterhaltung kennenzulernen, folgte sie Mademoiselle Cormon, die mit großer Würde auf den jungen Mann zuschritt. Aber in diesem Augenblick meldete Jacquelin Mademoiselle, daß angerichtet sei. Die alte Jungfer winkte dem Chevalier mit einem Blick. Jedoch der galante Vorsteher des Hypothekenamts, der anfing, im Benehmen des Chevalier die Schranke zu sehen, die in dieser Zeit die Provinzadligen zwischen sich und dem Bürgertum errichteten, freute sich, ihm den Rang abzulaufen; er stand neben Mademoiselle Cormon, rundete seinen Arm, um ihn ihr zu reichen, und sie war genötigt, ihn anzunehmen. Der Chevalier stürzte sich aus Diplomatie auf Madame Granson.
»Mademoiselle Cormon, meine Liebe«, sagte er und schritt bedächtig als Letzter hinter allen Gästen her, »hegt das lebhafteste Interesse für Ihren lieben Athanase. Aber Ihr Sohn ist schuld, daß dies Interesse abnimmt; er ist irreligiös und liberal, er legt sich für das Theater ins Zeug, er hält es mit den Bonapartisten, interessiert sich für den konstitutionellen Pfarrer. Dieses Betragen kann ihn um den Posten im Rathaus bringen. Sie wissen, wie sorgfältig die Regierung des Königs aussiebte! Wo will Ihr Sohn, wenn man ihn wegschickt, eine Stellung finden? Er soll sich nur ja hüten, sich bei der Verwaltung mißliebig zu machen!«
»Monsieur le Chevalier«, gab die geängstigte Mutter zur Antwort, »wie bin ich Ihnen zu Dank verpflichtet! Sie haben recht, mein Sohn wird von einer bösen Clique verführt, und ich werde ihn darüber aufklären.«
Der Chevalier hatte seit langem mit einem einzigen Blick die Natur von Athanase ergründet; er hatte das wenig biegsame Element der republikanischen Gesinnung in ihm erkannt, für die ein junger Mann dieses Alters alles opfert, der von dem so schwer erfaßbaren wie mißverstandenen Wort ›Freiheit‹ berauscht ist, das für die verächtlich Zurückgestoßenen eine Fahne der Empörung ist, und für sie bedeutet Empörung Rache. Athanase mußte seinem Glauben treu bleiben, denn seine Überzeugung war für ihn mit seinen Künstlerschmerzen, seiner bittern Auffassung der sozialen Zustände verwoben. Er wußte nicht, daß er, wie alle Menschen höherer Art, im Alter von sechsunddreißig Jahren, wenn er die Menschen, ihre Verhältnisse und sozialen Interessen erst richtig einzuschätzen gelernt hätte, seine Meinungen, für die er jetzt seine Zukunft opferte, verändern würde. Sich zur Linken von Alençon bekennen, das hieß die Gunst von Mademoiselle Cormon verscherzen. Hierin sah der Chevalier klar. So war also diese anscheinend so friedliche Gesellschaft innerlich ebenso erregt wie die diplomatischen Kreise, wo die List, die Gewandtheit, die Leidenschaften, die Interessen sich um die ernstesten Fragen von Reich zu Reich drehen. Die Gäste saßen endlich um den Tisch herum, auf dem der erste Gang prangte, und jeder aß, wie man in der Provinz ißt, ohne sich wegen seines guten Appetits zu genieren, und nicht wie in Paris, wo
Weitere Kostenlose Bücher