Die alte Jungfer (German Edition)
verquickt. Die eine betraf den Pfarrer von Alençon, der seinerzeit den Eid auf die Konstitution abgelegt hatte und der nunmehr das Widerstreben seiner katholischen Gemeinde durch die Entfaltung der höchsten Tugenden überwand. Er war ein Cheverus im kleinen und so beliebt, daß ihn bei seinem Tode die ganze Stadt beweinte. Mademoiselle Cormon und der Abbé gehörten zu dem orthodoxen Kirchensprengel, der für Rom das war, was die Ultras für Ludwig XVIII. wurden. Der Abbé vor allem wollte ganz und gar nichts von der Kirche wissen, die gezwungenermaßen einen Kompromiß mit denen, die den Eid abgelegt hatten, eingegangen war. Jener Pfarrer wurde in dem Hause Cormon, dessen Sympathien sich dem Vikar von Saint-Léonard, der aristokratischen Pfarrkirche von Alençon, zuwandten, nicht empfangen. Du Bousquier, dieser wütende Liberale in der Haut eines Royalisten wußte, wie notwendig zwischen den Unzufriedenen, die den Hauptbestand aller Opposition bilden, die Anknüpfungspunkte sind, und er hatte schon um diesen Pfarrer alle Sympathien der Mittelklasse geschart. Nun die zweite Angelegenheit. Unter der heimlichen Anregung dieses groben Diplomaten war die Idee entstanden, in Alençon ein Theater zu bauen. Die Seiden Du Bousquiers kannten nicht ihren Mahomet, aber sie waren nur um so eifriger, da sie ihren eigenen Einfall zu verteidigen glaubten. Athanase war einer der glühendsten Verfechter der Erbauung eines Theatersaals, und seit einigen Tagen warb er für die Sache, die alle jungen Leute zu der ihrigen gemacht hatten, Anhänger in den Büros des Rathauses.
Der Edelmann reichte Mademoiselle seinen Arm zum Promenieren; sie nahm ihn und dankte ihm mit einem glücklichen Blick für seine Aufmerksamkeit, worauf der Chevalier mit einem schlauen Hinweis auf Athanase sagte: »Mademoiselle, Sie, die den sozialen Konventionen so großen Wert beilegen und mit der dieser junge Mann durch einige Bande verknüpft ist...«
»Nur durch sehr entfernte«, warf sie ein.
»Sollten Sie nicht«, fuhr der Chevalier fort, »von dem Einfluß, den Sie auf ihn und seine Mutter haben, Gebrauch machen, um ihn vor dem Verderben zu bewahren? Er ist schon nicht sehr religiös, er hält zu dem konstitutionellen Priester; aber das wäre noch nicht schlimm. Weit gefährlicher ist dies: Stürzt er sich nicht besinnungslos in die Opposition, ohne zu wissen, welche Folgen sein gegenwärtiges Betragen für die Zukunft haben wird? Er betreibt den Bau des Theaters, er läßt sich in dieser Sache von dem verkleideten Republikaner, dem Du Bousquier, zum Narren halten ...«
»Mein Gott, Monsieur de Valois«, erwiderte sie, »seine Mutter sagt mir, daß er Geist hat, und er kann nicht bis drei zählen; er pflanzt sich immer vor einem auf wie eine Null...«
»Die an nichts denkt!« fiel der Vorsteher des Hypothekenamts ein. »Ich habe ihn auf frischer Tat ertappt! ... Mein Kompliment dem Chevalier de Valois!« begrüßte er ihn dann mit der Emphase, die Henri Monnier dem Joseph Prud'homme, dem bewunderungswürdigen Typus der Klasse, zu der der Vorsteher des Hypothekenamts gehörte, zuschreibt.
Monsieur de Valois dankte mit dem trockenen und gönnerhaften Gruß des Edelmanns, der die Distanz hält; dann schleppte er Mademoiselle Cormon zu einigen entfernteren Blumentöpfen, um dem Eindringling zu verstehen zu geben, daß er nicht ausspioniert sein wollte.
»Wie sollen die jungen Leute, die in diesen abscheulichen kaiserlichen Lyzeen erzogen wurden, zu vernünftigen Ideen kommen?« sagte der Chevalier, der sich dem Ohr Mademoiselle Cormons genähert hatte, leise; »gute Sitten und edle Gewohnheiten erzeugen große Ideen und die wahre Liebe. Wenn man ihn so ansieht, möchte man wetten, daß der arme Kerl ganz idiotisch wird und elend zugrunde geht. Sehen Sie, wie bleich und abgezehrt er ist?«
»Seine Mutter gibt vor, er arbeite zu angestrengt«, meinte unschuldig das alte Mädchen; »er verbringt die Nächte, aber womit? Mit Lesen, Schreiben. Wie soll ein junger Mann aussehen, der in der Nacht schreibt?«
»Aber natürlich, das erschöpft seine Kräfte«, fing der Chevalier wieder an, der den Versuch, Athanase bei Mademoiselle in Mißkredit zu bringen, fortsetzen wollte; »die Sitten dieser kaiserlichen Lyzeen waren wirklich abscheulich.«
»O ja«, sagte die unbefangene Mademoiselle Cormon, »führte man sie nicht mit Trommlern an der Spitze spazieren? Ihre Lehrer hatten nicht so viel Religion wie die Heiden. Und man steckte die armen Jungen in
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