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Die alte Jungfer (German Edition)

Die alte Jungfer (German Edition)

Titel: Die alte Jungfer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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»aber Sie haben ihn nicht erhalten.«
    »Wie, Onkel, Sie wußten?...« Sie hielt inne. Josette seufzte. Weder der Vicomte de Troisville noch der Onkel bemerkten etwas. Nach dem Frühstück begleitete der Abbé de Sponde, wie sie am Abend vorher vereinbart hatten, den Vicomte in die Stadt, um ihm die Häuser zu zeigen, die er kaufen könne, oder die Plätze, die zum Bauen geeignet wären.
    Als sich Mademoiselle Cormon allein im Salon befand, sagte sie zu Josette mit kläglicher Miene: »Mein Kind, ich bin zu dieser Stunde das Gespött der ganzen Stadt.«
    »Nun, Mademoiselle, heiraten Sie!«
    »Ich bin aber gar nicht vorbereitet, eine Wahl zu treffen.«
    »Bah! Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, nähme ich Monsieur du Bousquier.«
    »Josette, Monsieur de Valois sagt, er sei solch ein Republikaner!«
    128»Ach, Ihre Messieurs wissen nicht, was sie sagen. Sie behaupten ja, er habe die Republik bestohlen, also liebte er sie nicht!« gab Josette zur Antwort, ehe sie hinausging.
    ›Dieses Mädchen ist erstaunlich klug‹, dachte Mademoiselle Cormon, die, ihrer Ratlosigkeit überlassen, zurückblieb.
    Sie sah ein, daß eine rasche Heirat das einzige Mittel sei, um dem Gerede ein Ende zu machen, Diese letzte, so offenbar demütigende Schlappe war geeignet, sie zu einem äußersten Entschluß zu treiben, denn für den beschränkten Geist ist es schwer, den einmal betretenen guten oder bösen Pfad zu verlassen. Jeder der beiden Junggesellen hatte die Situation, in welcher sich die alte Jungfer befinden mußte, begriffen, und sie hatten sich beide vorgenommen, sich am Morgen nach ihrem Befinden zu erkundigen und im Junggesellenstil ›ihre Sache voranzutreiben‹. Monsieur de Valois fand, daß der Ernst der Situation eine peinliche Toilette erfordere; er nahm ein Bad und striegelte sich mit ungewöhnlicher Sorgfalt, Zum ersten- und letztenmal sah ihn Cesarine mit unglaublicher Geschicklichkeit eine Spur Rot auflegen. Du Bousquier, der grobschlächtige Republikaner, achtete seinerseits gar nicht auf seine Toilette. Er ging geradewegs auf sein Ziel los und erschien als erster. Solche Kleinigkeiten entscheiden über die Geschicke der Menschen wie über die der Nationen. Die Attacke Kellermanns bei Marengo, die Ankunft Blüchers bei Waterloo, die Verachtung Ludwigs XIV. für den Prinzen Eugen, der Pfarrer von Denain, alle diese großen Ursachen glücklicher Ereignisse und Katastrophen werden von der Geschichte verzeichnet; aber niemand zieht daraus die Lehre, in den kleinen Vorkommnissen des Lebens nichts zu versäumen. Und dann geschehen solche Dinge wie die folgenden: die Duchesse de Langeais wird Nonne, weil sie nicht die Geduld gehabt hat, zehn Minuten zu warten; der Richter Popinot verschiebt es auf den folgenden Tag, den Marquis d'Espard zu befragen; Charles Grandet kehrt über Bordeaux zurück, anstatt über Nantes zu kommen, und man nennt diese Ereignisse Zufälligkeiten, Schicksalsfügungen! Eine Spur von Rot aufzulegen zerstörte die Hoffnungen des Chevaliers de Valois; nur auf diese Weise konnte dieser Edelmann ums Leben kommen: er hatte von der Gunst der Grazien gelebt, er sollte von ihrer Hand den Tod finden. Während der Chevalier die letzte Hand an seine Toilette legte, betrat der dicke Du Bousquier den Salon der verzweifelten alten Jungfer. Dieses Eintreten traf mit einem für den Republikaner günstigen Gedankengang zusammen, der sich aus einer inneren Beratung, die nichtsdestotrotz dem Chevalier alle Vorteile einräumte, ergab.
    ›Gott will es‹, sagte sich die alte Jungfer, als sie Du Bousquier erblickte.
    »Sie werden nicht zürnen, Mademoiselle, daß ich mich persönlich nach Ihrem Befinden erkundige. Ich wollte mich nicht auf den Schlingel René verlassen.«
    »Es geht mir vollkommen gut«, erwiderte sie mit bewegter Stimme. »Ich danke Ihnen, Monsieur du Bousquier«, fuhr sie nach einer Weile mit starker Betonung fort, »für die Mühe, die Sie sich mit mir gegeben und die ich Ihnen gestern verursacht habe ...«
    Sie erinnerte sich daran, daß Du Bousquier sie in seinen Armen gehalten hatte, und dieser Zufall vor allem erschien ihr als eine Fügung des Himmels. Zum erstenmal hatte sie ein Mann mit offenem Gürtel, aufgerissenem Schnürleib gesehen; alle ihre Schätze waren vor seinen Augen aus ihrem Schrein herausgeschleudert worden.
    »Es war mir eine solche Lust, Sie zu tragen, daß ich Sie leicht fand.«
    Hierbei sah Mademoiselle Cormon Du Bousquier an, wie sie noch keinen Mann der Welt angesehen hatte.

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