Die alte Jungfer (German Edition)
Von jenem Abend an pflegte der unglückliche junge Mann sich an dem malerischsten Punkte der Sarthe zu ergehen, wo die Zeichner, die sich mit Alençon befaßten, sich aufstellten, um ihre Skizzen zu machen. Dort stehen Mühlen. Der Fluß gibt den Wiesen ein heiteres Ansehen. Die Ufer der Sarthe zieren hochgewachsene, schlanke Bäume. Wenn die Landschaft auch flach ist, so entbehrt sie doch nicht der lieblichen Anmut, die Frankreich auszeichnet, wo die Blicke niemals durch ein zu grelles licht ermüdet oder durch anhakende Nebel betrübt werden. Dieser Ort war einsam. In der Provinz achtet niemand auf eine schöne Aussicht, sei es, daß man dazu zu blasiert ist oder weil man keine Empfänglichkeit für Poesie hat. Wenn es in der Provinz eine Promenade, einen freien Platz oder einen Spazierweg gibt, von wo aus sich eine weite Aussicht bietet, so geht niemand hin. Athanase gewann diese vom Wasser belebte Einsamkeit, wo die Wiesen beim ersten Schein der Frühlingssonne zu grünen anfingen, lieb. Wer ihn da zuweilen unter einer Pappel sitzen sah und seinen tiefgründigen Blick auffing, sagte zu Madame Granson: »Ihr Sohn hat etwas.«
»Ich weiß, was er tut!« antwortete dann mit wohlgefälligem Gesichtsausdruck seine Mutter und gab zu verstehen, daß er über einem großen Werk brüte.
Athanase kümmerte sich nicht mehr um Politik, er hatte keine Meinung mehr; doch erschien er verschiedene Male recht heiter, heiter aus Ironie, wie es die sind, die sich für sich allein gegen die ganze Welt auflehnen. Dieser junge Mann, der abseits von der Gedankensphäre, von allen Vergnügungen der Provinz stand, interessierte wenige Leute, er war nicht einmal ein Gegenstand der Neugierde. Wenn man zu seiner Mutter über ihn sprach, so geschah es ihretwegen. Keine einzige Seele sympathisierte mit der Seele von Athanase, keine Frau, kein Freund kam zu ihm, um seine Tränen zu trocknen, er ließ sie in die Sarthe fallen. Wenn die schöne Suzanne des Weges gekommen wäre, wieviel Unglück hätte diese Begegnung verhindert, denn diese beiden Wesen hätten sich geliebt! Sie kam übrigens hin. Der Ehrgeiz Suzannes wurde durch die Erzählung eines sehr seltsamen Abenteuers angestachelt, das um 1799 in dem ›Hôtel du More‹ begonnen und ihren Kindskopf in große Verwirrung gebracht hatte. Eine Pariser Dirne von engelgleicher Schönheit hatte von der Polizei den Auftrag bekommen, den Marquis de Montauran, einen den Chouans von den Bourbonen entsandten Befehlshaber, in sich verliebt zu machen; sie hatte ihn in dem ›Hôtel du More‹ bei seiner Rückkehr von dem Feldzug nach Mortagne abgewartet, hatte ihn verführt und ausgeliefert. Diese phantastische Person, die Macht der Schönheit über den Mann, alles in dieser Geschichte der Marie de Verneuil und des Marquis de Montauran, hatten Suzanne den Kopf verdreht. Schon von früher Jugend lebte in ihr die Begierde, mit den Männern zu spielen. Es war ihr nicht unlieb, einige Monate nach ihrer Flucht den Weg über ihre Vaterstadt zu nehmen, um mit einem Künstler, in die Bretagne zu gehen. Sie wollte Fougères sehen, wo sich das Abenteuer des Marquis de Montauran abgespielt hatte, und den Schauplatz jenes bunten Krieges kennenlernen, von dessen noch wenig bekannten traurigen Begebenheiten sie in ihrer Kindheit gehört hatte. Außerdem machte es ihr Vergnügen, so verwandelt und ausstaffiert, daß niemand sie wiedererkannte, Alençon zu passieren. Sie hatte die Absicht, im Handumdrehen ihrer Mutter einen ruhigen Lebensabend zu verschaffen und dem armen Athanase in zarter Weise eine Summe zukommen zu lassen, die in unserer Zeit für das Genie dasselbe bedeutet, was im Mittelalter das Schlachtpferd und die Rüstung waren, die Rebekka; Ivanhoe zukommen ließ.
Ein Monat verging, in dem bezüglich der Heirat Mademoiselle Cormons die sonderbarsten Annahmen in Umlauf waren. Es gab eine Partei Ungläubiger, die die Heirat in Abrede stellte, und eine Partei Gläubiger, die an ihr festhielt. Nach vierzehn Tagen erlitt die Partei der Ungläubigen eine heftige Schlappe. Das Haus Du Bousquiers wurde für dreiundvierzigtausend Francs an Monsieur de Troisville verkauft, der in Alençon nur ein ganz bescheidenes Haus haben wollte; denn er sollte später, nach dem Ableben der Fürstin Scherbeloff, nach Paris ziehen; er wollte diese Erbschaft in Ruhe abwarten und mittlerweile sein Besitztum wieder instand setzen. Soviel stand fest: Die Ungläubigen gaben sich nicht geschlagen. Sie meinten, Du Bousquier mache, ob
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