Die alte Villa (German Edition)
eine tiefe Falte auf ihrer Stirn sichtbar. Sie blieb stumm, so fuhr Greta mit leiser Stimme fort:
„Die Knechte, von denen sie mir damals erzählt haben...“
Schwester Gabriela antwortete nicht, sondern blickte die verängstigte junge Frau durchdringend aus dem Halbdunkel ihres Büros an.
Sie schien fieberhaft zu überlegen, denn nach einiger Zeit kam plötzlich Leben in sie. Winzige rote Flecken breiteten sich in ihrem Gesicht aus. Sie sprang auf und kam um den Schreibtisch herum auf Greta zu. Dabei wirkte sie hektisch. Sie musterte das schmale Mädchen und ihr erfahrener Blick erfasste die Lage im Nu.
„Wann ist das geschehen? Du musst zu einem Arzt. Komm!“ Sie griff nach Gretas Arm und zog sie hoch. Greta begriff nicht.
Eine kleine rundliche Schwester brachte sie schließlich auf die Krankenstation. Sie öffnete die Tür zu einem der Krankenzimmer und ließ sie dort allein. Greta stellte ihre Tasche ab und legte sich aufs Bett. Tränen liefen an ihren Wangen herunter. Was sollte nun mit ihr geschehen? Noch nicht einmal Schwester Gabriela hatte ihr richtig zugehört.
Nach vielen Stunden, die sie dort auf dem Bett lag, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen und voller Unsicherheit, wie es mit ihr weitergehen sollte, erschien endlich wieder die kleine beleibte Schwester und forderte sie auf, ihr zu folgen.
Wie eine Marionette stand Greta auf und folgte der Schwester hinaus auf einen langen Flur, tappte verloren hinter ihr her, fühlte sich klein und hilflos. Sie erinnerte sich ganz schwach an ihren ersten Tag hier im Heim. Eigentlich wusste sie nur noch, dass sie sich verloren und verängstigt gefühlt hatte. Genau so fühlte sie sich nun wieder. Fremdbestimmt und ohne den Hauch einer Chance, sich gegen das Regiment der Menschen um sie herum zur Wehr zu setzen.
Die Schwester steuerte mit Greta im Schlepptau auf eine Tür zu und öffnete diese. Sie betraten ein ihr vertrautes Zimmer, welches sie nur zu gut aus ihrer Kindheit kannte. Es war das Untersuchungszimmer des Kinderheimarztes und sie hatte wenig gute Erinnerungen an diesen Ort.
Nach der Untersuchung, die sie als grauenhaft und verletzend empfunden hatte, sagte man ihr, was sie doch sowieso schon wusste, nämlich, dass sie ein Kind erwartete und dass sie dieses auf gar keinen Fall behalten dürfte.
Ihre Verzweiflung wich einer tiefen Depression. Tagelang lag sie nur noch auf dem Bett ihres Krankenzimmers und starrte stundenlang apathisch zur Decke.
Man ließ sie die meiste Zeit alleine in ihrem Zimmer und nur alle paar Stunden schaute eine Schwester nach ihr. Sie sehnte sich nach dem Hof der Schwabigs zurück. Nach ihren Adoptiveltern.
Und nach Jeremy..
Jeremy kam wenige Tage später in das Heim, weil er sie dort vermutete. Er wollte sie wieder nach Hause holen, aber sie ließen ihn nur für ein paar Minuten zu seiner Adoptivschwester, schickten ihn dann energisch wieder fort. Auch Jeremys Eltern wollten ihre Adoptivtochter sehen. Sie erhielten ein Gespräch mit Schwester Gabriela, die ihnen unmissverständlich mitteilte, dass Greta schwer krank sei und nicht so viel Besuch empfangen könne. Schon der Besuch ihres Adoptivbruders hätte sie viel zu sehr geschwächt.
Nach ein paar Wochen hatte Greta dann einfach aufgehört zu sprechen und jeden Kontakt zu ihrer Umwelt abgebrochen. Sie saß die meiste Zeit in ihrem Zimmer und starrte die Wände an.
Der Arzt kam täglich zu ihr. Hager und bucklig flößte er ihr nichts als Angst ein und auch er konnte kein einziges Wort aus ihr herausbringen.
Jeremy besuchte sie wiederholt, und ließ sich auch nicht von Schwester Gabriela daran hindern, aber Greta schaute ihn nur noch wie einen Fremden an.
An einem grauen trostlosen Novembertag dann setzten die Wehen ein. 8 Wochen zu früh kam ihr Kind auf die Welt. Sie sollte das winzige Wesen niemals zu Gesicht bekommen. . Schwester Gabriela überbrachte ihr die Nachricht vom Tod des Kindes nur wenige Stunden nach der Geburt, als sie noch im selben Zimmer lag, in dem kurz zuvor die Entbindung statt gefunden hatte. Sie nahm diese Nachricht scheinbar vollkommen unbewegt auf und schaute weiterhin zur Decke.
In der Adventszeit besuchte Jeremy sie und brachte ihr Süßigkeiten und ein paar Bücher mit. Er schüttelte verzweifelt den Kopf: „Was ist denn bloß los mit dir, meine Kleine?“
Er fühlte sich so hilflos.
Schwester Gabriela sagte etwas von einem Blinddarmdurchbruch. Was er nicht verstand, warum Greta denn nicht zu ihnen gekommen war,
Weitere Kostenlose Bücher