Die Amazonen
Frau, fällt ihm als Erste ein. Die entschiedene Befürworterin der griechischen Sache macht grundsätzlich aus jedem politischen Problem einen Ehestreit. Aber auch Poseidon, der Bruder, wäre erbost, ebenso wie seine Lieblingstochter Athene. Alle sind auf Seiten der Griechen, die er den Troern ausliefern soll. Wie kann er das jemals erklären?
Thetis Augen sind noch immer flehend auf ihn gerichtet, ihre Lippen öffnen sich einen Hauch in Erwartung seines „Ja“. Und Zeus gibt es ihr, weil er sich in ihrer Schuld fühlt, und vielleicht auch, weil Thetis Hände jetzt oberhalb seiner Knie liegen und in ihm nichts anderes als dieses „Ja“ ist. Sie nimmt es mit einem Seufzer entspannter, fast schläfriger Befriedigung entgegen und dankt ihm mit einem tieferen Blau in den Augen. Dann steht sie auf, dreht sich um und springt zurück ins Meer. Etwas Silbernes wird silberblau. Und kein Mensch auf dem steinigen Schlachtfeld vor Troja ahnt, dass in diesem Moment der Krieg entschieden ist.
Die Tage und Wochen, die jetzt kommen, werden für die Griechen zu einem Martyrium. Die Troer rücken unaufhaltsam vor und nähern sich der Mauer, die das griechische Lager samt der dahinter liegenden Flotte schützt. Wenn sie fällt, sind die Schiffe verloren und mit ihnen die Hoffnung, jemals wieder nach Griechenland zu kommen. Mit letzter Kraft verteidigen die Männer die Freiheit, wenigstens zurückkehren zu können. Längst ist aus der Schlacht ein Schlachten geworden, dem ganz aus der Nähe Achill zusieht. Vor seinem Zelt schlägt er die Leier und unterhält sich mit Heldengesängen aus der Vorzeit, während erste Fackeln wie ein Feuerregen auf die griechischen Holzschiffe niedergehen.
Da tritt der greise Nestor händeringend vor Agamemnon und beschwört ihn, sich mit Achill zu versöhnen. Er muss ihn nicht lange überreden. Bereitwillig verspricht der gar nicht mehr stolze |81| Heerführer, alles zu versuchen, um das Zerwürfnis zu kitten. Er erstellt einen ganzen Katalog von Bußgeschenken, die er dem Gekränkten anbietet. Allein sie würden Achill zu einem wohlhabenden Mann machen. Darüber hinaus leistet Agamemnon Abbitte, indem er Briseis zurückschickt und schwört, sie niemals berührt zu haben. Ehrung und Auszeichnung schließlich erfährt Achill durch das Angebot, bei der Rückkehr aus Troja eine Tochter Agamemnons zu ehelichen und in sein Haus aufgenommen zu werden.
Aber Achill schickt die Gesandten zurück, er lässt sich nicht kaufen. Das sollen die Boten ausrichten. Und dass er niemals mehr mit Agamemnon gemeinsame Sache machen werde.
Warum tut er das? Sein Wunsch ist erfüllt, Agamemnon erweist ihm alle Ehren und gesteht die eigene Verfehlung. Achill müsste die ausgestreckte Hand nur ergreifen und der Weg zu unsterblichem Ruhm wäre frei. Aber er bleibt sitzen und trotzt weiter, weil er zu unbeweglich ist sich umzudrehen. Er sitzt fest in seinem Zorn und kann nicht heraus, bringt die innere Kraft zu einem Sinneswandel nicht auf. Als ein Gefangener seiner selbst verharrt er in einer für alle aussichtslosen Lage und redet sich damit heraus, dass Agamemnon ihm noch Dank schulde.
Seine unnachgiebige Härte zwingt Zeus, der ja noch immer bei Thetis im Wort steht, zu einer drastischen Erziehungsmaßnahme. Er braucht ein Druckmittel, das gewichtiger ist als Achills Starrsinn, und findet es in der Liebe und dem Schmerz, der ihr potentiell innewohnt. Denn sogar der harte Achill liebt und wird wiedergeliebt von Patroklos, dem einzigen, besten, bedingungslosen Freund seines Lebens.
Patroklos wird Zeus’ Werkzeug sein. Als er die ersten Schiffe brennen sieht, hält er die erzwungene Untätigkeit nicht mehr aus und bittet den Freund unter Tränen, eingreifen zu dürfen. Niemals hat Achill ihm einen Wunsch verweigert, und auch dieses Mal will er sich über die Gefühle des Freundes nicht hinwegsetzen. Er versteht Patroklos besser als sich selbst und kann von |82| dessen Standpunkt aus nachfühlen, dass es einem das Herz zerreißt, dem großen Sterben zusehen zu müssen.
So lässt er Patroklos ziehen – mit einer Einschränkung: Er soll, wenn er die Troer von den Schiffen vertrieben hat, zurückkommen und nicht etwa die Flüchtigen verfolgen und sich in weitere Kämpfe verwickeln lassen.
Dann reicht Achill dem Freund die eigene Rüstung, es ist die, die sein Vater Peleus von den Göttern zur Hochzeit geschenkt bekam. Er gab sie seinem Sohn, als der nach Troja aufbrach, und hoffte damals das Gleiche wie Achill jetzt:
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