Die Amazonen
Richtung schaute. In der irrigen Meinung, |78| dass der Olymp und seine Heimat von allem Ärger verschont bleiben würden, nickte er den drei Kandidatinnen zu.
Schon standen die Göttinnen vor dem verblüfften Paris und verlangten sein Urteil. Natürlich versuchten sie, ihn zu bestechen: Hera versprach ihm ungeheure Macht, Athene Weisheit und militärische Stärke, Aphrodite schließlich die schönste Frau auf Erden: Helena, die Königin von Sparta. Und Paris, jung, begeisterungsfähig und völlig unbedarft, entschied sich für Aphrodites Angebot und reichte ihr den Apfel. Sie revanchierte sich wie versprochen und half ihm bei der Entführung Helenas.
Damit war der Bündnisfall unter den Griechen eingetreten, die an Helenas Hochzeit geschworen hatten, in diesem – wegen ihrer Schönheit voraussehbaren Fall – zusammenzuhalten.
Zwischen Eris’ ungebetenem Erscheinen, Helenas Entführung und dem Entschluss, sie aus Troja zu befreien, waren Jahre vergangen, in denen Peleus und Thetis einen Sohn bekommen hatten. Jenen Sohn, der einmal mächtiger sein würde als sein Vater, Achill. Beide Eltern liebten ihn sehr, doch in die Liebe der göttlichen Mutter mischte sich schon beim Anblick des Säuglings die Trauer darüber, dass er ein Mensch mit befristetem Leben war. Der Gedanke an seinen, wenn auch noch so fernen Tod ließ Thetis nicht mehr los, und sie beschloss, den Körper des Kindes in einen unsterblichen zu verwandeln.
Tagsüber salbte sie den Kleinen mit Ambrosia, einer nur Göttern zugänglichen Substanz, die alle Verfallsprozesse des Körpers aufhielt. Nachts, wenn Peleus schlief, arbeitete sie an der unsterblichen Hülle. Dazu schürte sie ein Feuer an, nahm den kleinen Achill aus seinem Bettchen und hielt ihn an der Ferse kopfüber in die Flammen, die alles Vergängliche an ihm verbrannten. Nacht für Nacht wiederholte Thetis dieses Ritual und hätte ihr Werk wohl erfolgreich zu Ende gebracht, wenn Peleus an diesem unseligen Morgen nicht so früh erwacht wäre. Er fand seine Frau nicht neben sich und stand auf, um nach ihr zu sehen. Als er in die Küche trat, wollte er zunächst seinen Augen nicht trauen. Die zärtliche, |79| besorgte Mutter stand vor dem lodernden Feuer und verbrannte das eigene Kind. Er stürzte auf sie zu, riss ihr den kleinen Achill aus der Hand, rannte zum Wassertrog, besprengte seinen Sohn und schrie fassungslos auf Thetis ein, die ebenso außer sich seine Vorwürfe zurückwies. Wie er denn denken könne, sie wolle ihr Kind verletzen, unsterblich wäre es geworden, wenn er nicht dazwischen gefunkt hätte, der Beweis dafür, dass er überhaupt kein Vertrauen in sie habe, wie sollten sie da eine Ehe führen. Sie schlug die Tür hinter sich zu und kehrte für immer ins Meer zurück.
Achill war infolge der abgebrochenen Behandlung zwar nicht unsterblich, aber unverletzlich geworden, bis auf seine „Achillesferse“, die Stelle, an der seine Mutter ihn gehalten hatte. Jeder in Griechenland kannte die Geschichte, die der Trennung seiner Eltern vorausgegangen war, und so freuten sich die Troja-Fahrer natürlich, als sie hörten, dass Achill am Kriegszug teilnehmen würde. Ein ebenso unverletzbarer wie unerschrockener Krieger gab der ganzen Flotte ein Gefühl der Sicherheit. Mit Achill würde man langfristig rechnen können, mehr noch: Sein Mut und sein Kampfgeist waren als feste Größe eingeplant. Von der Prophezeiung seines frühen Todes vor Troja wussten seine Mitstreiter allerdings nichts, das war und blieb Familiengeheimnis. Und das von Zeus, natürlich.
Alles weiß er, und ihm tut Thetis sehr leid, wie sie demütig vor ihm kniet. Er fühlt sich mitschuldig an ihrem Unglück, das er ja heraufbeschworen hat, als er sie zur Hochzeit mit Peleus drängte. Die Ehe ist zerbrochen, der Sohn dem frühen Tod geweiht. Alles hat sie ertragen, solange ihrem Sohn unendlicher Ruhm in Aussicht gestellt war. Aber nun hat Agamemnon ihn vereitelt, und Achill würde sterben wie ein ganz gewöhnlicher Mensch.
Auch Thetis taucht jetzt aus der gemeinsamen Erinnerung auf, schaut in die allwissenden Augen und spricht aus, was der oberste Gott nicht hören will: „Ich und Achill, wir bitten dich: Stärke die Troer, und lasse die Griechen so lange leiden, bis ihr Führer Agamemnon einsieht, dass er Achill zu Unrecht entehrt hat.“
|80| Lange wiegt Zeus den Kopf, es widerstrebt ihm zutiefst, sich so massiv einzumischen in diesen Krieg. Weder die Menschen noch die Götter würden ihn verstehen. Hera, seine
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