Die Amazonen
hüllt Achill in einen fast schon überirdischen Glanz, als er jetzt den Wagen besteigt und das Wort an seine unsterblichen Pferde Balios und Xanthos richtet. Er ermahnt sie, ihn nicht im Stich zu lassen wie den toten Patroklos, ein Vorwurf, den die Pferde weit von sich weisen. Die beiden Tiere verraten Achill, dass es die Götter waren, die Patroklos getötet haben und Hektor nur den Vollzug überließen. Nichts hätte ihre Schnelligkeit gegen das Schicksal ausrichten können. Xanthos verspricht, alles zu tun, um Achill zu retten, aber er erinnert ihn auch daran, dass es sein Schicksal sein wird, von einem Gott und Menschen bezwungen zu werden. Nah sei dieser Tag schon, mahnt ihn Xanthos, aber davon will Achill jetzt nichts hören. Mit wenigen Handgriffen ordnet er die Zügel und treibt die Pferde an die Spitze des Trupps, der nach Hektor sucht.
Er findet ihn. Er tötet ihn. Er schafft die Voraussetzung für den Sieg der Griechen. Jetzt ist er bereit zum Tod. Thetis’ Stimme klingt ihm in den Ohren: „Sehr bald nach Hektor ist dir das Ende beschieden.“ Und die des Xanthos: „Nah ist dir der Tag des Verderbens, an dem du von einem Gott und Menschen bezwungen wirst.“
|85| Die Schönheit in Waffen
Die Troer verschanzten sich hinter den Mauern. Seit Hektor tot war, glaubte niemand mehr an einen Sieg. Und keiner verließ die umzingelte, aber sichere Stadt.
Das gefiel Athene nicht. Sie hatte vorgehabt, die Gunst der Stunde für die Entscheidungsschlacht zu nutzen. Das trojanische Heer war nicht nur führungslos, sondern auch verängstigt. Im Handstreich wäre Troja jetzt zu erobern, wenn man hinein könnte in diese Stadt oder die Bewohner herauskämen.
Von außen in die Stadt zu gelangen war für Feinde unmöglich. Götter hatten die Mauern um Troja gebaut, sie waren unüberwindbar und unzerstörbar. Innerhalb der Stadt lag gut geschützt ein tiefer Brunnen, der Mensch und Tier mit Wasser versorgte. Und noch gab es Weizen und Fleisch von den Herden, die nachts heimlich vom Ida-Gebirge durch ein verstecktes Tor in die Stadt getrieben wurden.
Besiegen konnte man die Troer nur, wenn sie die Stadt verließen. Diesen Leichtsinn würden sie aber nur dann wagen, wenn ihnen jemand zu Hilfe käme. Ein Heer, das den Sieg auf seine Fahnen geschrieben hatte, das niemals eine Schlacht verloren hatte, dessen Erscheinen genügte, um die Feinde zur Umkehr zu zwingen. Es musste ein Heer sein, das mehr als Hoffnung brachte: Mut und Zuversicht, gewonnen aus der Gewissheit des Überlegenen. Ein kriegerischer und seelischer Beistand, der auf die Troer so wirkte, als würden die olympischen Götter selbst an ihrer Seite kämpfen.
Athene brauchte nicht lange nachzudenken. Auf der ganzen Welt gab es nur ein Heer, das all diese Erfordernisse erfüllte: die Amazonen. Um sie nach Troja zu locken, schickte Athene ihrer Königin Penthesilea einen Traum.
Es war ein ebenso genialer wie infamer Schachzug der Göttin, die wusste, dass die junge Königin tief genug empfand, um sich in dem feingewobenen Lügengespinst zu verfangen.
|86| Athene legte die Fährte klug. Sie stellte Penthesilea nicht etwa einen Sieg in Aussicht, das war für die Amazonen nichts Außergewöhnliches mehr. Athene zeigte der jungen Königin vielmehr die Folge dieses Sieges: eine Kriegsbeute, die einen echten Zugewinn für das Volk der Amazonen bedeutete. Dieser Nutzen für die Gemeinschaft sollte der Königin die Entscheidung für den Kampf um diese Beute leicht machen und Penthesilea sowie ihr Volk im Glauben lassen, dass der Aufbruch nach Troja aus freien Stücken erfolgte. In Wahrheit aber führte Athene Penthesilea in Fesseln dahin, denn der Traum hatte die noch unerfahrene Königin bereits aus der fraglosen Sicherheit ihres Daseins herausgerissen, sie gezwungen, aus der Namenlosigkeit der Amazonengemeinschaft herauszutreten und als ein „Ich“ einem erträumten „Du“ gegenüberzutreten. Dieses „Du“, nach dem sie fortan von ganzem Herzen suchen würde, sogar suchen musste, war niemand anderes als Achill. Der Traum riss Penthesilea aus der Mitte ihres Selbst und gab diesem Riss einen Namen, der zum Inbegriff ihrer Sehnsucht nach dem Anderen werden sollte. Um wieder eins mit sich zu werden, würde Penthesilea nicht anders können, als dieses Traumbild zu finden und in Besitz zu nehmen.
Penthesilea träumte von einer goldenen Stadt. Zwei Heere belagerten sie, aber die Bewohner schienen es nicht zu bemerken. Sie feierten Hochzeit, viele Hochzeiten. Vor
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