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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Jahr nach Thüringen gekommen. Später dann, während seiner Tätigkeit in der Firma seines Vaters, nur noch in längeren Abständen. Nie hatte er es versäumt, auf einen Besuch bei Ruths Schwestern vorbeizuschauen, obwohl ihre geschäftlichen Beziehungen – die Steinmanns produzierten Christbaumschmuck sowohl für die Woolworth-Läden als auch für das Großhandelsunternehmen Miles – dies nicht zwingend erfordert hätten.
    »Aber vor allem freue ich mich auf Wanda! Dass aus dem kleinen Wildfang von früher längst eine junge Frau geworden ist, kann ich mir noch gar nicht vorstellen. Wo steckt sie eigentlich?«
    Ruth seufzte. »Das weiß der Himmel, wo sich dieses Mädchen wieder herumtreibt. Bei ihrer Arbeit ist sie jedenfalls nicht. Sie wurde nämlich heute erst von ihrem Chef …, ach, lassen wir das. Sag mir lieber, wie du meine Wohnung findest!« Sie machte eine allumfassende Geste.
    »Fantastisch natürlich! Was ich bisher gesehen habe, ist einfach … grandios. Ich kann’s kaum erwarten, bis du mir alle Zimmer zeigst! Hier könnte man glatt eine ganzeHandvoll Lauschaer Hütten unterkriegen«, erwiderte Marie. Seltsam, dachte sie gleichzeitig, dass Ruth nicht weiter über ihre Tochter sprechen wollte. Damals, als junge Mutter, hatte sie nichts anderes getan und war Marie, die nicht verstehen konnte, was es stundenlang über einen Säugling zu reden gab, damit ziemlich auf die Nerven gegangen.
    »Dein Salon ist ganz besonders elegant. Er ist so völlig anders!« Marie wies in Richtung der flächigen schwarzen Möbel, deren einziger Schmuck Intarsienarbeiten waren. Hie und da stand eine verträumte Mädchenbüste, eine marmorne Nackte mit wallenden Haaren oder eine Elfe aus Bronze.
    »Du hast wohl gedacht, ich würde mir ein Puppenstübchen mit Rüschen und Spitzengardinen einrichten!«, erwiderte Ruth gespielt entrüstet. »Komm, ich zeige dir etwas, worauf ich wirklich stolz bin.« Sie ging zu einem Tisch, unter dessen Glasplatte ein ganzes Arsenal an Schmetterlingen, Libellen, Frauenköpfen und Pfauenfedern auf schwarzem Samt funkelte.
    »Das sind meine Schätze. Natürlich würde mir Steven jederzeit wertvolle Juwelen schenken, aber ich bevorzuge es, solche modischen Stücke zu tragen. Ich finde sie so viel origineller als die ewig gleichen Perlengehänge oder Diamantcolliers!« Sie lachte. »Du müsstest einmal sehen, was für lange Hälse meine Freundinnen manchmal machen, um herauszufinden, ob eine meiner Broschen echt oder falsch ist.« Sie hielt eine dunkelgrau glänzende Hornisse in die Höhe. »Wirkt sie nicht besonders echt? Sie ist von René Lalique. Und diese Schlange hier, ich finde, sie hat etwas sehr Erotisches. Sie stammt aus einer Werkstatt, die …«
    Während Ruth ein Schmuckstück nach dem anderen in die Hand nahm und vorführte, wurde Marie immer unbehaglicher zumute. Die Künstler, mit deren Namen Ruth um sich warf, kannte sie nur aus den Büchern von Sawatzky. Dass es tatsächlich Leute gab, die sich solche Stücke leisten konnten,und dass ihre eigene Schwester dazugehörte, hatte sie bisher nicht realisiert. Ruth kam ihr auf einmal so schrecklich fremd vor! Und das Apartment, auf das sie so stolz war, wirkte eher wie ein Museum als wie das Zuhause einer Familie – was sie natürlich Ruth gegenüber nicht erwähnen würde.
    Was würde wohl Gorgi zu dem Ganzen hier sagen?, fragte sich Marie und lieferte die Antwort gleich hinterher: Gorgi hätte wahrscheinlich längst ein ganzes Blech Kaffeekekse vertilgt, statt lediglich an einem zu knabbern, wie Ruth es tat.
    »Hallo, ist da wer? Mutter, Tante Marie – seid ihr schon da?«, ertönte es plötzlich draußen auf dem Flur.
    Schwungvoll wurde die Tür zu Ruths Salon aufgerissen, und im Türrahmen stand eine schlanke, hoch gewachsene junge Frau mit Haaren, die … Ein Grinsen huschte über Maries Gesicht.
    »Wanda!« Ruth schlug die Hand vor den Mund, und ihre Augen waren vor Schreck geweitet. »Um Himmels willen, was hast du getan?«
    Weggeblasen war jegliche Souveränität, ihre Stimme klang grell wie die eines Marktweibes.
    Mit hochgezogenen Augenbrauen lächelte Wanda ihre Mutter an.
    »Meinst du meine neue Frisur?« Sie deutete auf ihren silberblonden Schopf, der gerade einmal bis knapp über die Ohren reichte. »Ist sie nicht aufregend geworden? So schick und gerade richtig für den kommenden Sommer! Während ihr alle fürchterlich schwitzen werdet, wird mir ein frischer Wind um die Ohren blasen.«
    Erst in diesem Moment

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