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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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kein schlechter Kerl«, fühlte Marie sich verpflichtet hinzuzufügen. »Er hat übrigens nie wieder geheiratet.«
    Wanda starrte ihren Fuß, der immer noch nass in der Pfütze lag, wie einen Fremdkörper an.
    »Die ganzen Jahre … Wie oft habe ich mich wie das dritte Rad am Wagen gefühlt!«, sagte sie. »Nun weiß ich endlich, warum das so war: Ich war nie erwünscht, immer nur das lästige Anhängsel vom Prinzen und seiner Prinzessin. «
    »Das stimmt nicht! Ruth liebt dich mehr als ihr Leben! Meine Glasprinzessin hat sie dich als Baby immer genannt.« Mit wehem Herzen erzählte Marie, für wie übertrieben sie und Johanna Ruths Fürsorge als junge Mutter immer gehalten hatten.
    »Einmal …« – Marie lachte unwillkürlich auf – »einmal hat sie ihre ganzen gesparten Groschen zusammengekratzt, um dich von einem Fotografen ablichten zu lassen. Und das war damals weiß Gott nicht üblich! Glaube mir, es gab keine stolzere Mutter als Ruth. Du warst wirklich ihr Ein und Alles. Und daran hat sich nichts geändert.«
    Lautes Donnergrollen begleitete ihre Aussage, ein Blitz folgte und erhellte die Konturen der angrenzenden Wolkenkratzer, die wie gierige Finger nach ihnen greifen wollten. Über den Himmel rasten schwarze Wolken. Auf einmal wurde es empfindlich kühl.
    Marie blinzelte, als sie einen Regentropfen im Rückenausschnitt ihres Kleides spürte. Auch das noch! Hoffentlich zog das Gewitter weiter.
    »Aber warum hat sie mich dann achtzehn Jahre angelogen?«, sagte Wanda. »Nichts hat mehr Bedeutung, alles ist Schwindel, jede noch so kleine Bemerkung! Wie konnte siemir meine lieben Cousinen Claire und Dorothy, die Töchter von Stevens Schwester, als lobenswerte Beispiele für schulischen Fleiß und elterliche Ehrerbietung vorhalten? Wo ich doch gar nicht mit ihnen verwandt bin!« Sie schluchzte auf, halb verzweifelt, halb wütend. »Nie war ich ihr elegant genug. Immer war ich für sie zu faul, zu aufsässig und was weiß ich noch alles. Warum hat sie immer versucht, jemand anderen aus mir zu machen? Erinnere ich sie an meinen Vater – ist es das?«
    Marie schüttelte den Kopf. »Deine Mutter hat deinen Vater völlig aus ihrem Gedächtnis gestrichen. Ich glaube sogar, dass ihre Verdrängung so weit geht, dass es ihn für sie nie gegeben hat – wahrscheinlich hat sie dir deshalb auch nie von ihm erzählt. Ihr seid euch nicht ähnlich, glaube mir. Vergiss meine dumme Bemerkung von heute Abend. Du bist du!«
    »Und wer soll das sein?«, kam es zurück. »Mein Leben lang habe ich geglaubt, Amerikanerin zu sein, und plötzlich heißt es, ich sei in Deutschland geboren. Hinter den sieben Bergen«, spöttelte sie müde.
    »Jetzt red doch nicht so daher! Du bist immer noch Wanda, eine bezaubernde junge Frau mit mehr Charme, als viele andere haben!«, rief Marie. Wer bin eigentlich ich? Die Frage tauchte schneller auf, als sie vor ihr hätte flüchten können.
    Nun hatte der Himmel endgültig seine Schleusen geöffnet. Trotzdem brachte Marie es nicht fertig vorzuschlagen, irgendwo Schutz zu suchen. Sie wollte das hier oben zu Ende bringen, irgendwie! Sie rutschte näher unter den Absatz des Kamins, als Wanda plötzlich aufsprang und in die Mitte der Dachterrasse rannte.
    Die Arme ausgebreitet, ihr Gesicht gen Himmel erhoben, stand sie da.
    »Vielleicht ist es am besten, wenn mich der Schlag trifft! Dann ist alles vorbei!« Sie lachte hysterisch, als ihre rechte Hand vom Rand eines Blitzkegels erhellt wurde. »Etwasnäher noch, du Donnergott! Dann hast du’s geschafft! Und ich auch!« Wie wild drehte sie sich im Kreis.
    Im nächsten Moment wurde sie von Marie grob zu Boden gerissen.
    »Spinnst du? Das war lebensgefährlich!« Fest hielt sie das zitternde Bündel mit ihren Armen umklammert. »Du Wahnsinnige!«
    Wanda schluchzte erneut auf. »Mutter hat ihren Prinzen, Harold seine Bankgeschäfte, Pandora ihren Tanz, du deine Glasbläserei – jeder hat etwas, wofür er lebt, nur ich nicht! Ich bin niemand und ich kann nichts. Ich fühle mich so leer wie eine ausgehöhlte Nuss. Wertlos, nutzlos. So kann ich nicht mehr weitermachen.«
    Marie war Wandas Verzweiflung so schutzlos ausgeliefert wie den Naturgewalten, die um sie tobten. Während grollender Donner an Hochhauswänden abprallte, der Regen hart auf ihren Rücken und ihre Arme schlug, verspürte sie zum ersten Mal seit langem tiefe Dankbarkeit für ihre eigene Begabung. Die Frage, wer sie war, war plötzlich leicht zu beantworten: Sie war Glasbläserin und

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