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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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gestorbenwäre? Hätten die anderen weiter still ausgeharrt? Natürlich war ihnen das eingeschärft worden, sehr drastisch sogar. Vielleicht hätten sie jedoch im Angesicht eines Toten jede Drohung vergessen, hätten an die Wand des Holzverschlages getrommelt und so lange Lärm gemacht, bis einer von der Besatzung aufmerksam geworden wäre. Und dann? Was hätten wohl die Behörden zu hundertzwanzig blinden Passagieren in riesigen Transportkisten für De-Lucca-Wein gesagt? Das Risiko war einfach zu groß! Auch wenn sein Vater das ums Verrecken nicht hören wollte! Franco fühlte vor Erbitterung einen Stich. Warum ließ sich der Alte allwöchentlich von ihm telefonisch Bericht erstatten, wenn er sich doch nicht an seine Empfehlungen hielt?
    Die Zigarette landete in hohem Bogen in einer trüben Pfütze.
    Anfangs hatte er seinem Vater tatsächlich geglaubt, dass es eine gute Sache war, jungen Landsleuten, die aus welchen Gründen auch immer keine Einreisepapiere für Amerika bekamen, auf diese Art den Weg ins gelobte Land möglich zu machen. Dass deren Familien sich krummlegen mussten, um das Fahrtgeld zu berappen, und dass die jungen Männer nach ihrer Ankunft in Amerika noch ein Jahr lang die entstandenen Kosten bei befreundeten Wirten – allesamt auch Abnehmer ihres Weines – abarbeiten mussten, daran hatte Franco nichts Unmoralisches erkennen können – das Risiko, das seine Familie trug, musste schließlich entlohnt werden. Er hatte es sogar als eine heroische Tat empfunden, zwischen den Kisten mit Rotwein ein paar arme Seelen in eine bessere Zukunft zu schmuggeln. Vielleicht hätte er mit diesem Glauben alt werden können, wenn sein Vater nicht diesmal Franco nach New York geschickt hätte, damit er mit etlichen Dollar dafür sorgte, dass einige der Zollbeamten im entsprechenden Moment auch weiterhin die Augen zumachten. Als er das erste Mal das Entladen einer Frachtkiste miterlebte und die fastverdursteten Männer auf allen vieren herauskrabbeln sah, war es aus und vorbei mit seiner romantischen Vorstellung. Franco hatte erkannt, dass nichts Heldenhaftes daran war, Menschenhandel zu treiben.
    Genau darum ging es bei der ganzen Angelegenheit nämlich.
    Was ihn, Franco, zum Sklavenhändler machte.

14
    Nur langsam erwachte Ruth aus ihrer Ohnmacht. Matt lag sie auf der Chaiselongue inmitten ihrer Art-déco-Schätze, ein kühles Taschentuch auf der Stirn. Doch kaum hatte sie die Augen geöffnet, rief sie: »Wanda? … Wo ist mein Kind? Ich muss zu ihr und ihr alles erklären. Ich …« Sie richtete sich schwankend auf.
    Marie hielt sie am Arm fest. »Wanda hat sich verkrochen. Sie will niemanden sehen.«
    »Verkrochen?« Ruth begann zu weinen, hielt wie ein Kind beide Hände vors Gesicht. »Was hast du nur angerichtet? Ich … ich will Wanda nicht verlieren.«
    Auch Marie musste mit den Tränen kämpfen. Die Hochstimmung vom frühen Abend war längst verflogen, weg auch jeder Gedanke an Franco und die Pandora-Anekdote, mit der sie ihn hatte zum Lachen bringen wollen.
    »Es tut mir so unendlich leid! Eine dumme Bemerkung … ich weiß selbst nicht, wie es dazu kam. Ich verspreche dir, ich mache alles wieder gut!« Sie hätte Ruth in diesem Moment alles versprochen, doch Ruth hatte ihr Gesicht immer noch in den Händen vergraben.
    »Es gibt Dinge, die kann man nicht mehr gutmachen!«, murmelte sie, ohne Marie anzuschauen.

    Nachdem Steven Marie mit bleichem Gesicht an Ruths Seite abgelöst hatte, verließ sie zusammen mit Harold das Apartment, um noch einmal nach Wanda zu suchen. Zuvor war Harold schon die ganze Fifth Avenue entlanggelaufen und hatte Wandas Namen gerufen, während Marie in der kleinen Bar an der Ecke zur sechsten Avenue nach ihr geschaut hatte. Die ausgelassene Stimmung der Passanten in dieser Samstagnacht war ebenso an ihr abgeprallt wie die drückende Schwüle, die noch immer auf den Straßen herrschte.
    »Im Apartment ist sie nicht, im Haus haben wir auch überall nachgeschaut. Wo sollen wir jetzt noch suchen?« Maries Stimme klang bedrückt. »Zu Pandora wird sie doch wohl nicht gegangen sein, oder?«
    »Das glaube ich auch nicht.« Harold wirkte geistesabwesend.
    »Es gibt noch einen Ort, an dem wir bisher nicht gesucht haben«, sagte er schließlich. »Sie hat mir einmal erzählt, dass sie gern aufs Dach des Hochhauses geht. Weil sie dort dem Himmel so nah ist.«

    »Mein Vater ein Glasbläser in Lauscha …« Wanda lehnte an der Kaminwand. Ihr Gesicht war grau, ihr Blick stumpf. Der

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