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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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interessiert, welche Tricks er mir am Bolg zeigen konnte«, gestand Marie lachend.
    Und dann war da Wandas anderer Onkel, Sebastian, der Lauscha Hals über Kopf verließ, nachdem er seine Frau Eva in flagranti mit seinem Vater – Wandas Großvater – erwischt hatte. Er war nie mehr zurückgekehrt. Eva blieb bei Wilhelm, und die beiden lebten fortan wie Mann und Frau zusammen. Inzwischen war Wilhelm ein alter Mann, dem es gesundheitlich sehr schlecht ging. Marie bezweifelte, dass er den nächsten Winter überleben würde.
    Wanda staunte nicht schlecht: Das waren ja liederlicheVerhältnisse! So etwas hatte sie den Verwandten in der alten Heimat gar nicht zugetraut!
    Als sie ihre Mutter auf die Geschichte mit Eva ansprach, sagte die: »Eva war schon immer eine falsche Schlange gewesen. Das Einzige, was mich wundert, ist, dass es so lange dauerte, bis sie Sebastian hinterging. Daran, wie sie dem Alten schöne Augen gemacht hat, kann ja sogar ich mich noch erinnern! Da haben sich die zwei Richtigen gefunden!«
    Wanda hätte gern noch mehr erfahren. Doch zu einer weiteren Äußerung war Ruth nicht zu bewegen. Dass Marie die alten Geschichten wieder auf den Tisch brachte, gefiel ihr ganz und gar nicht. Und das sagte sie ihr auch.
    »Glaubst du, du tust Wanda einen Gefallen mit deinen Geschichten über diese schreckliche Sippe? Keiner von denen hat je etwas von ihr wissen wollen – was braucht es sie da zu kümmern, ob der Alte nun wegen seiner Gicht oder wegen Rheuma bettlägerig ist?«, fuhr sie Marie an. Und Wanda warf sie vor, sich mehr für wildfremde Leute zu interessieren als dafür, wie es den Menschen um sie herum ging. Ihrem Vater zum Beispiel.
    Wanda spürte selbst, dass Steven unter der Situation litt. Er schien ihr plötzliches Interesse an Lauscha so zu deuten, dass sie nichts mehr von ihm wissen wollte. Was natürlich Blödsinn war. Er war trotz allem ihr Daddy, das musste er doch wissen! Sagen konnte sie ihm das allerdings nicht, dazu gingen sie alle viel zu verkrampft miteinander um: Ruth hätte am liebsten so getan, als wäre nichts vorgefallen, Steven glaubte, seine Tochter verloren zu haben, und Marie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie die Verursacherin der unguten Stimmung war. Und Wanda? Sie saß zwischen allen Stühlen. So verlegten Marie und Wanda ihre Gespräche auf das Dach des Apartmenthauses. Dorthin verirrten sich nur ein paar verkrüppelte Tauben, und die beiden Frauen waren ungestört.
    Den Rücken an den Kaminschacht gelehnt, die Augen meist geschlossen, hörte Wanda zu, wie Marie vom Thüringer Alltag erzählte, aber auch von seinen Festen. Vom Karneval, der bei ihnen groß gefeiert wurde, und vom Tanz in den Maien. Maries Geschichten hörten sich fröhlich an. Die Lauschaer schienen ein lustiges Völkchen zu sein.
    Einmal, als Wanda die Leiter aufs Dach hinaufgestiegen war, wäre sie vor Schreck fast wieder rückwärts hinuntergefallen: Vor ihr war auf einem Leinentuch ein üppiges Picknick ausgebreitet, zu dem auch zwei Flaschen Bier gehörten. Mittendrin saß Marie und strahlte. Sie hatte bei einer deutschen Bäckerei ganz in der Nähe einen riesigen Laib Schwarzbrot besorgt, bei einem deutschen Metzger Blut- und Leberwurst, dazu Essiggurken, die sich am Ende jedoch als Salzgurken entpuppten. Während sie die vor ihnen ausgebreiteten Köstlichkeiten verzehrten, plauderte Marie über die Vorliebe der Glasbläser für Kartoffelgerichte und ein gutes Glas Bier.
    Mit vollen Backen hörte Wanda zu. Dass in manchen Familien noch immer eine einzige Schüssel auf den Tisch kam, aus der sich jeder mit einem Löffel oder den Fingern bediente, wollte sie zuerst gar nicht glauben.
    Marie kicherte. »Ich kann mich noch gut an den ersten Tag erinnern, als deine Mutter, Johanna und ich in der Heimer’- schen Werkstatt als Arbeitsmädchen anfingen. Mittags hatte die alte Edeltraud – das war die Magd – eine Schüssel mit Kartoffelsalat und Wurststücken in die Mitte des Tisches gestellt, und da sollten wir nun draus essen wie die Schweine vom Trog. Was hat es uns geschüttelt! Aber man gewöhnt sich an vieles … Das war keine leichte Zeit für uns drei, auf gewisse Art waren wir ja durch unseren Vater auch ziemlich verwöhnt. Dass uns jemand so herumkommandierte, wie dein Großvater es getan hat, waren wir jedenfalls nicht gewohnt. Das sag ich dir – für die paar Kreuzer, die wir bekommen haben, mussten wir uns ganz schön krummlegen! Trotzallem – irgendwie war es auch eine

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