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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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einen Stuhl schnappen und sich setzen würde, um sich ohne sichtliches Unbehagen oder Widerwillen mit uns zu unterhalten. Bei Marlowe Hughes konnte ich das Verlangen zu reden verstehen. Sie war ein vereinsamter und nichtbeachteter ehemaliger Star und gierte nach der Aufmerksamkeit eines Publikums, das ihr nicht entkommen konnte. Aber diese knorrige Vogelgestalt? Warum sollte er so schnell mit der Wahrheit rausrücken?
Er musste etwas von uns wollen.
    Ich drehte mich besorgt zu Sam um. Sie hatte das Pferd auf den Tisch gestellt und betrachtete es genau.
    »Wo haben Sie Ashley wiedergesehen?«, fragte ich, als ich mich wieder umgedreht hatte. »Im
Oubliette

    Villarde war sichtlich überrascht, als er den Namen des Clubs hörte. Er rutschte auf dem Hocker herum, zog die Schultern hoch und blieb dann still sitzen.
    »Mann, Mann. Sie haben wirklich Ihre Hausaufgaben gemacht. Das ist richtig.«
    »Woher wusste sie, dass Sie da sein würden?«, fragte Hopper.
    »Ich nehme an, sie hat meine Mitgliedskarte in der Brieftasche gefunden, die ich bei meiner Flucht im Waldorf Hotel gelassen hatte. Auf der Rückseite steht eine Telefonnummer, unter der man seine Gefangenschaft anmelden kann. Ich fand später heraus, dass Ashley sich dort als mein Gast angemeldet hatte.«
    Er hielt inne, sein Atem ging schwer, ein widerliches Geräusch.
    »Ich war mit meinem Bezwinger in meiner Zelle, als sie plötzlich aus dem Dunkeln heraustrat. Als wäre sie aus der Wand gekommen. Ich schrie. Ich rannte davon. Alarmierte den Sicherheitsdienst. Sie sind sofort hinter ihr her, verfolgten sie am Strand die Klippen entlang, ein ganzer Trupp von Wachen. Aber sie kamen mit leeren Händen zurück. Sie sagten, ihre Fußspuren hätten einfach aufgehört, als wäre sie wie ein Vogel davongeflogen. Oder als wäre sie in die Fluten gegangen und ertrunken.« Er senkte den Kopf und blickte auf seinen Schoß. »Tagelang war von ihr nichts zu sehen. Aber ich wusste, es war nur eine Frage der Zeit. Sie würde kommen.«
    »Und kam sie?«, fragte ich.
    »Oh ja. Sie kam.«
    »Und wo?«
    »Genau hier.« Er streckte den Arm aus und deutete auf seinen Laden. »Ich war gerade zur Inventur hinten, als ich plötzlich merkte, dass sämtliches Licht aus dem Laden verschwunden war, als sei die Sonne geflohen und habe sich hinter eine Wolke gekauert. Ich sah beunruhigt auf.
Und sie war genau da.
«
    Er zeigte zum vorderen Teil des Ladens, wo das Licht von der Straße durch die Buntglasscheiben und die geöffnete Tür fiel.
    »Sie hatte mich noch nicht entdeckt, also ging ich in die Hocke und kroch auf Händen und Füßen, so leise ich konnte, über den Boden. Ich schaffte es in die hintere Ecke und versteckte mich da drin.«
    Er drehte sich nach rechts und deutete auf einen riesigen doppeltürigen Kleiderschrank in der hinteren Ecke.
    »Ich hörte jeden ihrer Schritte, sie näherte sich immer mehr meinem Versteck. Als wäre sie der Teufel, der mich holen wollte. Dann war es eine Weile lang still. Ich hörte, wie sie nach der Schranktür griff. Ganz langsam und knarrend öffnete sie sich. Ich wusste, das war’s. Dass ich meinem Tod gegenüberstand.«
    Er verstummte und fing mit hochgezogenen Schultern an zu zittern.
    Ich versuchte den Ekel zu ignorieren, der mich überkam, und drehte mich noch einmal nach Sam um. Zum Glück waren sie und das Pferd jetzt beste Freunde. Sie flüsterte ihm ins Ohr, offenbar hatte sie ihm etwas sehr Wichtiges zu erklären.
    »Wieso war sie hinter Ihnen her?«
    Villarde sagte nichts. Er senkte bloß schuldbewusst den Kopf.
    »Sie haben mit den Leuten aus Crowthorpe Falls zusammengearbeitet?«, fragte Nora leise und ging einen Schritt auf Villarde zu. »Sie haben Ihnen geholfen, auf das Gelände von The Peak zu kommen?«
    »Das habe ich«, sagte Villarde und lächelte schwach, er war dankbar für ihre Freundlichkeit.
    »Wie genau ist das gelaufen?«, fragte ich. »Hatten Sie eine Vereinbarung mit denen?«
    »Hatte ich«, flüsterte er kleinlaut.
    »Mit
wem

    Er schüttelte den Kopf. »Das wusste ich nicht. Es waren so viele. Ich … ich war gerade nach Crow gezogen. Stanislas traf ich zum ersten Mal, eher zufällig, im Gemischtwarenladen. Seine Frau hatte ihn losgeschickt, um Gartenhandschuhe zu kaufen. Er fragte mich nach meiner Meinung. ›Welche dieser Handschuhe passen zu einer Feenkönigin?‹ Das war das Erste, was er zu mir sagte. Wir fühlten uns sofort zueinander hingezogen. Wenn sich Männer begehren, dann krachen sie wie

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