Die amerikanische Nacht
Schauspieler, der Brad Jackson gespielt hatte – er kam ursprünglich aus England –, war angeblich nach Thailand gezogen, wo ihn 2002 ein Cordovite entdeckte, als er mit einem minderjährigen Mädchen auf dem Motorrad durch den Rotlichtbezirk
Soi Cowboy
fuhr.
Diese Menschen waren in alle Winde zerstreut worden, wie Asche, die man in die Luft wirft. Sie waren auf der ganzen Welt verteilt – einer reiste sogar nach Tristan da Cunha im Südatlantik. Ich konnte nicht sagen, ob sie vor etwas flohen, als sie ihr neues Leben begannen. Hatten sie die Wahrheit über Cordova herausgefunden, den Mann aus der Nähe gesehen, und hatte sie der Schrecken davonlaufen lassen? Oder war es anders herum – waren sie befreit worden? Hatten sie
das Lamm geschlachtet
, wie es auf den Blackboards genannt wurde – hatten sie ihre Fesseln abgeworfen und waren sie, nachdem sie mit Cordova gearbeitet hatten, in der Lage, das wildeste Leben anzugehen, das sie sich vorstellen konnten?
Aus meiner Sicht war es unmöglich zu sagen, ob es Freiheit oder Furcht war, die sie angetrieben hatte – vielleicht war es auch keines von beiden, und sie waren von Cordova auf die Welt losgelassen worden als seine ergebenen Jünger, um seine Befehle, seine Arbeit auszuführen, weiß Gott, worin die bestand.
Egal, was ihre Motivation gewesen war, ich fragte mich, ob sie etwas Ähnliches fühlten wie ich – diese Erschöpfung, die Albträume, das Gefühl, am falschen Ort zu sein –, als sei ich jetzt zu groß für das gewöhnliche Leben und würde nicht mehr hineinpassen.
Ich beschäftigte mich gerade mit dieser Frage und durchsuchte die Blackboards nach »Nachwirkungen von Cordova« und »bekannte Symptome«, als ich abrupt von der Seite geworfen wurde.
Egal wie oft ich meinen Laptop vom Internet trennte, die Einstellungen veränderte, mir eine neue IP -Adresse besorgte und einen neuen Benutzernamen probierte – ich landete immer wieder auf der Seite mit dem
Exit
-Schild.
War ich gesperrt oder ausgeschlossen worden – oder hatte man mich entdeckt?
Als Nächstes wandte ich mich den Pflanzen zu, durch die ich mir im Gewächshaus der Reinharts einen Weg gebahnt hatte. Der Arzt in der Notaufnahme hatte mir gesagt, dass ich in Kontakt mit einem starken Reizerreger gekommen war und dass es helfen würde zu wissen, was es war, falls der Ausschlag sich nicht besserte. Er besserte sich, vierundzwanzig Stunden nachdem ich das Steroid genommen hatte, war er so gut wie verschwunden. Doch eine einfache Suchanfrage nach »Mad Seeds« reichte aus, um die Alarmglocken schrillen zu lassen.
Mad Seeds
war einer von vielen Spitznamen für
Datura stramonium
oder Stechapfel, eine Pflanze, die so giftig ist, dass eine Tasse Tee daraus einen erwachsenen Mann umbringen kann. Laut Wikipedia gehörten zu den Nebenwirkungen des Verzehrs von Saft oder Samen der Pflanze die »Unfähigkeit, zwischen Realität und Phantasie zu unterscheiden, Delirium und Halluzinationen, skurriles und möglicherweise gewalttätiges Verhalten und schwere Mydriasis« – Pupillenerweiterung –, »die eine schmerzhafte Photophobie zur Folge haben kann« – Lichtüberempfindlichkeit –, »die mehrere Tage andauern kann.« Das Gift ließ Menschen ihren bevorstehenden Tod spüren und verwandelte ganz normale Leute in »wahre Narren«.
Es war denkbar, dass ich, als ich unter den Heizlampen schwitzte wie ein Schwein, mit den Pollen in Berührung gekommen war und sie unabsichtlich geschluckt hatte.
Ich schlug auch die anderen Pflanzennamen nach, an die ich mich erinnerte:
Tongue Tacks, Death Cherries, Blue Rocket, Eye-Prickles.
»Tongue Tacks« und »Eye-Prickles« konnte ich nirgendwo finden, aber »Blue Rocket« war
Aconitum
oder Eisenhut, eine der tödlichsten Pflanzen der Welt. Ihr Gift kann »über die Haut aufgenommen werden und führt innerhalb einer Stunde zu Krämpfen und einem langwierigen und qualvollen Tod, vergleichbar einer Strychninvergiftung«. Mit »Death Cherries« war
Belladonna
oder die Schwarze Tollkirsche gemeint, ebenfalls tödlich und für ihre phantastischen halluzinogenen Eigenschaften bekannt. Unter ihrem Einfluss erschienen die eigenen Hoffnungen und Wünsche oft als wilde Realität.
Es war mir nicht bewusst gewesen, doch als ich nichtsahnend in das Gewächshaus der Reinharts spaziert war, war es, als hätte ich ein Atomkraftwerk mit einem
kleinen
Leck in einem der Reaktoren betreten oder als wäre ich in ein Riff voller weißer Haie geschwommen. Es war
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