Die amerikanische Nacht
bedrohlich sogar – als hätte er, wie ein griechischer Gott mit explosiven Launen und Vorlieben, einen Felsen verschluckt, der ihn nicht umgebracht, nur brutal an den Boden gefesselt hatte. Er saß zurückgelehnt in seinem Stuhl, seine Hände – kräftige Arbeiterhände – hingen locker von den Armlehnen hinab, so wie ein erschöpfter König sich auf seinem Thron erholen würde. Sein Gesicht war anders, als ich es mir vorgestellt hatte, irgendwie weniger klar umrissen, ein bisschen schlaffer und grober.
Und doch war ich sicher, dass er es war.
Cordova.
Ich konnte sogar das verblasste tätowierte Rad auf seiner rechten Hand erkennen, genau dort, wo es auch bei Gallo war. Sein Blick war weiter auf den Rasen gerichtet, wie ein Anker, den er ausgeworfen hatte. Es war, als würde er sich etwas ausmalen, die letzte Szene eines Filmes, den er niemals drehen würde – oder eine Szene, die er sich für sein Leben gewünscht hatte. Vielleicht stellte er sich vor, wie er mit der Sonne im Rücken und dem Wind im Gesicht über das Gras ging. Vielleicht dachte er an seine Familie, an Ashley, wo auch immer sie jetzt war.
Gallo hatte mich vorgewarnt, dass er nichts mehr wahrnahm.
»Einen oder zwei Tage, nachdem Ashley erfuhr, dass sie wieder krank war, das letzte Mal, ging er früh ins Bett«, hatte mir Gallo erzählt. »Er stand immer um vier Uhr morgens auf, um zu arbeiten, um zu leben. Aber er kam nicht runter. Ich war beunruhigt und ging nach oben. Ich fand ihn in seinem Bett, auf seine Kissen aufgestützt, als sei ihm mitten in der Nacht ein Geist erschienen, um etwas mit ihm zu besprechen. Seine Augen waren aufgerissen und starrten ins Nichts. Er war katatonisch – wie ein eingeschalteter Fernseher mit nur einem Sender, der nur Bildrauschen von sich gibt.« Zu meiner Erschütterung hatte Gallo mir alles bis ins Detail erzählt: Seine Ärzte waren sich sicher gewesen, dass er einen Schlaganfall erlitten hatte, und ließen ihn in ein Altenpflegeheim in Westchester verlegen –
Enderlin Estates
am Stadtrand von Dobbs Ferry. Man entschied, ihn unter Pseudonym anzumelden, als Bill Smith, damit er dort nicht verfolgt oder gejagt würde, sondern seine letzten Tage in Frieden verbringen konnte.
Ich sagte Gallo, dass ich diese Häufung von Todesfällen für einen unglaublichen Zufall hielt, zwei strahlende Leben, die so abrupt ihr Ende fanden – erst Ashley und jetzt Cordova. Zugegeben, er war strenggenommen nicht tot, aber wenn man das Leben betrachtete, das er geführt hatte, war er es – er reagierte nicht, sein Geist war für immer in seinem Körper gefangen oder war schon längst geflohen.
»Das ist kein Zufall«, blaffte Gallo mich an, als sei das Wort eine Beleidigung. »Er war fertig, verstehen Sie? Männer und Frauen, die erledigt haben, wofür sie bestimmt sind, die Antworten auf ein paar der großen Fragen des Lebens gefunden haben – nicht alle Antworten, aber einige –, die entscheiden selbst, wann sie ihr Leben beenden. Sie sind bereit. Und das war er. Er hat genau so gelebt, wie er es wollte – wild, wahnsinnig –, und jetzt ist er bereit für das, was folgt. Er hat jeden Tropfen Leben aus sich herausgewrungen. Jetzt ist nur ein vertrockneter Haufen Nerven und Knochen übrig. Ich bin mir absolut sicher, dass er in den nächsten Monaten sterben wird.«
Mir war Gallos Verhalten erschreckend effizient und forsch vorgekommen, dafür, dass sie gerade den Mittelpunkt ihres Lebens verloren hatte, die Sonne, die ihren Tagen Ordnung verlieh. Doch dann hob sie den Kopf und ich sah Tränen in ihren Augen – sie warteten, dass ich ging, um dann ungehemmt ihre eingefallenen Wangen hinabzulaufen. Schweigend brachte sie mich zur Haustür und streckte mir mit einem schroffen »Man sieht sich« die Hand entgegen – wir wussten beide, dass es dazu nicht kommen würde. Und obwohl ich Inez Gallo nicht besonders mochte und sie sich auch für mich nicht erwärmen konnte, hatten wir eine Art unausgesprochener Übereinkunft getroffen und einen überraschenden gemeinsamen Nenner gefunden: Wir waren beide Zuschauer, die dieser wilde Sturm namens Cordova mit sich gerissen hatte.
Und jetzt saß er vor mir, keinen Meter entfernt.
Er war ein zerbrechlicher alter Mann.
Ich hatte gegen niemanden gekämpft. Die Verbrechen, die Schrecken, die ich Cordova zu Lasten gelegt und für die ich ihn verurteilt hatte, kamen mir jetzt lächerlich vor, wenn ich mir überlegte, dass er in all den Momenten, ich denen ich mir so
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