Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
Wohlgefallen aufgelöst hatten.
Ja, danke, durchaus, meinte der Ministerpräsident, auch wenn er dabei nicht ganz überzeugend wirkte. Nombeko sah Hu Jintao an, dass er gerne mehr gewusst hätte, und fügte aus reiner Höflichkeit hinzu, dass Reinfeldt zu der Lösung neige, die Bombe in einen Bergstollen wegsperren und den Eingang für immer zumauern zu lassen. Im nächsten Moment dachte sie, dass sie das wahrscheinlich gar nicht hätte sagen dürfen, aber immerhin hatte sie diesmal nichts dazuerfunden.
Hu Jintao hatte sich in jüngeren Jahren mit dem Thema Nuklearwaffen beschäftigt (das hatte mit der Südafrikareise begonnen), und er hätte im Interesse seines Landes gern noch mehr über die Bombe erfahren. Sie war zwar schon ein paar Jahrzehnte alt, und die Bombe an sich brauchte China auch gar nicht, denn in den chinesischen Streitkräften hatte man mehr Megatonnen, als ein Mensch sich vorstellen konnte. Doch wenn die Angaben seines Nachrichtendienstes korrekt waren, könnte die Bombe – in demontiertem Zustand – China einen einzigartigen Einblick in die südafrikanische und damit auch israelische Kernwaffentechnologie geben. Und das konnte sich wiederum als wichtiges Puzzleteilchen bei der Analyse des Kräfteverhältnisses zwischen Iran und Israel erweisen. Die Iraner waren übrigens gut Freund mit China. Beziehungsweise so halb gut. Öl und Erdgas flossen aus dem Iran Richtung Osten, während China niemals heiklere Bundesgenossen gekannt hatte als die in Teheran (gut, Pjöngjang vielleicht mal ausgenommen). Unter anderem waren sie schrecklich schwer zu durchschauen. Bauten die nun ihre eigenen Atomwaffen? Oder war das alles nur Säbelrassen, hinter dem nicht mehr steckte als konventionelle Waffen und dick aufgetragene Rhetorik?
Nombeko unterbrach Hu Jintaos Überlegungen.
»Wie ich das sehe, spekuliert der Herr Präsident eventuell auf die Bombe. Soll ich den Ministerpräsidenten fragen, ob er bereit ist, sie Ihnen zu überlassen? Als Geschenk, um Frieden und Freundschaft zwischen Ihren Ländern zu festigen?«
Während Präsident Hu dachte, dass es vielleicht passendere Friedensgeschenke gab als eine Atombombe von drei Megatonnen Sprengkraft, fuhr Nombeko mit dem Argument fort, dass China schon so viele Bomben von der Sorte besaß, dass eine mehr oder weniger kaum einen Unterschied machen dürfte. Und sie war sicher, dass Reinfeldt die Bombe nur zu gern auf die andere Seite der Erdkugel verschwinden sähe. Oder noch weiter weg, wenn das möglich wäre.
Hu Jintao antwortete, es liege zwar in der Natur der Atombombe, Schaden anzurichten, obwohl das natürlich nicht wünschenswert war. Doch obwohl Fräulein Nombeko sein Interesse an der schwedischen Bombe ganz richtig erkannt hatte, war es wohl kaum passend, den Ministerpräsidenten um einen Gefallen dieser Art zu bitten. Daher bat er Nombeko, weiter zu dolmetschen, bevor der Ministerpräsident Grund hatte, sich wieder zu ärgern.
Doch es war bereits zu spät.
»Worüber reden Sie da, verdammt noch mal?«, rief der Ministerpräsident zornig. »Sie sollen dolmetschen und basta!«
»Ja, entschuldigen Sie, Herr Ministerpräsident, ich habe nur versucht, ein Problem für ihn zu lösen«, sagte Nombeko. »Aber es ging nicht so recht. Also reden Sie nur weiter. Über Umweltprobleme und Menschenrechte und so.«
Den Ministerpräsident ereilte schon wieder das Gefühl, das ihn in den letzten vierundzwanzig Stunden regelmäßig überkommen hatte. Gerade war mal wieder etwas so Absurdes geschehen, dass es unmöglich schien: Seine Dolmetscherin hatte diesmal keine Menschen gekidnappt, sondern seine Unterredung mit dem Staatsoberhaupt eines anderen Landes.
Während des Mittagessens konnte Nombeko das Honorar, das sie weder verlangt noch angeboten bekommen hatte, vollauf rechtfertigen. Sie hielt ein lebhaftes Gespräch zwischen Präsident Hu, dem schwedischen Ministerpräsidenten, dem Volvochef, dem Electroluxchef und dem Ericssonchef aufrecht – und das tatsächlich fast ohne sich selbst einzumischen. Nur bei ein paar Gelegenheiten rutschte ihr die Zunge aus. Zum Beispiel, als Präsident Hu dem Volvochef zum zweiten Mal für das wundervolle Geschenk gedankt hatte. Diesmal fügte er hinzu, dass die Chinesen selbst nicht so schöne Autos bauen könnten, und Nombeko übersetzte seine Worte nicht, sondern schlug ihm vor, dass sein Land und er Volvo doch gleich komplett kaufen könnten, dann müssten sie nicht mehr neidisch sein.
Oder als der Electroluxchef
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