Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
dann konnte der Herr Ministerpräsident hinterher behaupten, dass es bei den Gesprächen um Demokratie und Menschenrechte gegangen sei.
Zynisch ist sie also auch noch, in all ihrer Brillanz, dachte Fredrik Reinfeldt.
* * * *
»Herr Ministerpräsident. Es ist mir eine Ehre, Sie zu treffen – diesmal unter etwas weniger chaotischen Umständen«, lächelte Präsident Hu und hielt ihm die Hand hin. »Was Sie angeht, Fräulein Nombeko – unsere Wege kreuzen sich ja immer wieder. Und das auf angenehmste Art, muss ich hinzufügen.«
Nombeko erwiderte, dass sie das genauso sah, aber sie müssten ihre Erinnerungen an die Safari in Südafrika später austauschen, sonst würde der Herr Ministerpräsident ungeduldig.
»Ansonsten wird er gleich mit der einen oder anderen Bemerkung zu Demokratie und Menschenrechten anfangen, weil er findet, dass es da noch ein bisschen hapert bei Ihnen. Und damit liegt er ja gar nicht mal so weit daneben. Aber der Herr Präsident muss sich keine Sorgen machen, ich glaube, er wird das ganz vorsichtig anschneiden. Also, wenn Sie bereit sind – können wir loslegen?«
Hu Jintao verzog das Gesicht ein wenig, verlor aber trotzdem nicht die gute Laune. Dafür war diese Südafrikanerin viel zu charmant. Außerdem war es das erste Mal, dass eine Dolmetscherin die Dinge schon übersetzte, bevor sein Gegenüber sie sagte. Nein, falsch, es war doch schon das zweite Mal. Dasselbe war ihm ja schon mal vor vielen Jahren in Südafrika passiert.
Tatsächlich schnitt der Ministerpräsident die heiklen Themen sehr behutsam an. Er beschrieb die schwedische Einstellung zur Demokratie, unterstrich die schwedische Wertschätzung der freien Meinungsäußerung und bot den Freunden in der Volksrepublik an, ihnen bei der Entwicklung ähnlicher Traditionen behilflich zu sein. Und dann forderte er mit gedämpfter Stimme, dass die politischen Gefangenen des Landes auf freien Fuß gesetzt werden sollten.
Nombeko übersetzte, doch bevor Hu Jintao antworten konnte, fügte sie auf eigene Faust hinzu, was der Herr Ministerpräsident eigentlich sagen wolle, war, dass man Schriftsteller und Journalisten nicht einfach einsperren konnte, bloß weil sie unangenehme Dinge schrieben. Oder Leute zwangsumsiedeln oder das Internet zensieren …
»Was sagen Sie denn da alles?«, fragte der Ministerpräsident.
Er merkte, dass die Übersetzung doppelt so lang geriet, wie sie eigentlich hätte sein müssen.
»Ich habe nur das vermittelt, was der Herr Ministerpräsident gesagt hat, und dann habe ich verdeutlicht, was damit gemeint war, um das Gespräch anzukurbeln. Wir sind doch wohl beide ein bisschen zu müde, um noch den ganzen Tag hier zu sitzen, oder?«
»Verdeutlicht, was damit gemeint war? Habe ich mich bei unserer Vorbesprechung nicht klar genug ausgedrückt? Das ist hier Diplomatie auf höchstem Niveau, da kann die Dolmetscherin nicht einfach frei dazuerfinden!«
Na, ihretwegen. Nombeko versprach, so wenig wie möglich dazuzuerfinden, und wandte sich an Präsident Hu, um ihm zu erklären, dass der Ministerpräsident gar nicht glücklich über ihre Einmischung war.
»Das kann ich verstehen«, sagte Hu Jintao. »Aber übersetzen Sie jetzt doch bitte, und sagen Sie ihm, dass ich die Worte des Herrn Ministerpräsidenten und die des Fräuleins Nombeko gehört habe und genug politisches Urteilsvermögen besitze, beides voneinander zu unterscheiden.«
Daraufhin setzte Hu Jintao zu einer längeren Antwort an, in der er die Guantánamo-Basis auf Kuba erwähnte, in der manche Gefangene seit fünf Jahren darauf warteten, überhaupt zu erfahren, wie die Anklage lautete. Unglücklicherweise war der Präsident auch bestens informiert über die misslichen Vorfälle von 2002, als Schweden auf Verlangen der CIA schön brav zwei Ägypter ausgewiesen hatte, die daraufhin ins Gefängnis geworfen und gefoltert wurden, wobei sich im Nachhinein herausstellte, dass mindestens einer der beiden dummerweise unschuldig gewesen war.
Der Präsident und der Ministerpräsident tauschten sich noch weiter aus, bis Fredrik Reinfeldt irgendwann fand, dass es jetzt genug war. Und sich dem Umweltthema zuwandte. Dieser Teil des Gesprächs gestaltete sich wesentlich reibungsloser.
Eine Stunde später wurden Tee und Kuchen serviert, auch für die Dolmetscherin. In der formlosen Stimmung, die an der Kaffeetafel gerne mal entsteht, ergriff der Präsident die Chance, diskret seine Hoffnung zu äußern, dass die dramatischen Ereignisse des Vortages sich in
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