Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
ihm auf jeden Fall so scheinen, als würde Holger existieren, und jeder, der das Gegenteil behauptete, läge falsch. Außerdem, meinte Per-Henrik Persson, gab es mindestens zwei Dinge, die darauf hindeuteten, dass Holger nur ein Schwede sein konnte. Zum einen die Erzählung, die er gerade vorgebracht hatte. Nach Per-Henrik Perssons umfassender Erfahrung konnte man sich so etwas unmöglich ausdenken (dabei hatte Holger die Teile mit der Atombombe wohlweislich unterschlagen).
Der zweite Punkt war nicht der, dass Holger schwedisch aussah und akzentfrei Schwedisch sprach – sondern die Tatsache, dass er gefragt hatte, ob er die Schuhe ausziehen sollte, als er Per-Henrik Perssons mit Teppichboden ausgelegtes Büro betrat.
Um den Formalitäten Genüge zu tun, wollte Persson dann aber doch, dass Holger einen oder zwei Zeugen beibrachte, unbescholtene Bürger, die sozusagen für ihn und seine Lebensgeschichte bürgten.
»Einen oder zwei Zeugen?«, sagte Holger 2. »Ja, ich glaube, die könnte ich schon auftreiben. Wären Ihnen der Ministerpräsident und der König recht?«
Per-Henrik Persson meinte, dass einer von beiden sicher reichte.
* * * *
Während die Gräfin Mannerheim und ihre beiden Assistenten beschlossen, sich ihr neues Zuhause zu bauen, statt ein Altbau-Schloss zu suchen, das man ja doch nicht finden würde, begannen Holger 2 und Nombeko mit ihrem richtigen Leben. Nummer zwei feierte seine neu gewonnene Existenz damit, Professor Berner von der Universität Stockholm genug von seiner Geschichte zu schildern, dass dieser beschloss, ihm einen neuen Termin für seine Disputation zu geben. In der Zwischenzeit amüsierte sich Nombeko damit, in zwölf Wochen 180 Punkte in Mathematik zu erzielen (für die die Regelstudienzeit bei neun Semestern gelegen hätte), während sie gleichzeitig einen Vollzeitjob als China-Expertin in der Regierungskanzlei ausübte.
Abends und am Wochenende gingen Holger und Nombeko zu interessanten Vorträgen oder ins Theater, manchmal in die Oper oder ins Restaurant, oder sie trafen sich mit neuen Freunden. Das waren ausschließlich Leute, die man ganz objektiv als normal bezeichnen konnte. Zu Hause genossen sie es jedes Mal, wenn eine Rechnung durch den Briefschlitz gesegelt kam. Denn nur Leute, die wirklich existieren, können Rechnungen bekommen.
Holger und Nombeko führten daheim auch ein allabendliches Ritual ein: Kurz vor Schlafenszeit goss Holger zwei Gläser Portwein ein, woraufhin sie auf einen weiteren Tag ohne Holger 1, Celestine und die Bombe anstießen.
* * * *
Im Mai 2008 war das Zwölf-Zimmer-Herrenhaus in Västmanland fertig. Rundherum fünfzig Hektar Wald. Holger 1 hatte Nombekos Budget gesprengt, indem er einen nahe gelegenen See kaufte, weil die Gräfin ja immer noch das Bedürfnis verspürte, ab und zu Hechte zu angeln. Aus praktischen Gründen gab es noch einen Helikopterlandeplatz und den dazugehörigen Helikopter, mit dem Holger unerlaubterweise nach Drottningholm und zurück flog, wenn die Gräfin zum Tee oder zum Abendessen bei ihren besten Freunden vorbeischaute. Manchmal kam es vor, dass Holger 1 und Celestine auch mit eingeladen wurden, vor allem seit sie den gemeinnützigen Verein »Bewahrt die Monarchie« gegründet und ihm zwei Millionen gespendet hatten.
»Zwei Millionen, um die Monarchie zu bewahren?«, sagte Holger 2, als Nombeko und er bei ihrem Antrittsbesuch mit dem Blumenstrauß vor dem neu gebauten Herrenhof standen.
Nombeko schwieg.
»Findest du, dass es so aussieht, als hätte ich meine Meinung zu dem einen oder anderen Thema ein wenig geändert?«
»Das wäre noch vorsichtig formuliert«, meinte Holger 2, während Nombeko immer noch schwieg.
Na ja, da konnte Holger 1 ihm nun nicht so ganz zustimmen. Papas Kampf war ja gegen eine andere Monarchie zu einer anderen Zeit geführt worden. Seitdem hatte die Gesellschaft sich aber in jeder Hinsicht verändert, und neue Zeiten verlangen schließlich auch neue Lösungen, oder nicht?
Holger 2 sagte, dass Holger 1 gerade noch mehr Unsinn daherredete als sonst und dass sein Bruder nicht ansatzweise erfassen konnte, was für eine enorme Menge Unsinn das bedeutete.
»Aber red gern weiter, ich bin neugierig auf den Rest.«
Na ja, im 21. Jahrhundert war alles so schnell: Autos, Flugzeuge, Internet, alles! Da brauchten die Leute etwas Beständiges, Sicheres.
»So was wie einen König?«
Ja, so was wie einen König, meinte Holger 1. Die Monarchie war ja eine jahrtausendealte Tradition, während es
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