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Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)

Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)

Titel: Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Jonasson
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stammte, ungefähr ein Jahrhundert vor Christus. Die Mädchen wollten zwanzigtausend Rand für die Gans, und dem Ingenieur war klar, dass das Objekt mindestens zehnmal, wenn nicht hundertmal so viel wert sein musste! Doch die Mädchen waren nicht nur Mädchen, sondern obendrein Chinesinnen, also bot er ihnen fünfzehntausend bar auf die Hand. Sie sollten am nächsten Morgen vor der Bank erscheinen (»fünftausend pro Kopf, sonst könnt ihr die Sache vergessen!«), um das Geld entgegenzunehmen, und diese Dummbratzen ließen sich auf das Geschäft ein.
    Die einzigartige Gans bekam einen Ehrenplatz auf einem Sockel im Büro des Ingenieurs, bis sich ein Jahr später ein Agent des israelischen Mossad, der zugleich am Kernwaffenprojekt mitarbeitete, das Stück näher ansah und innerhalb von zehn Sekunden als Schrott entlarvte. Bei der folgenden Untersuchung, die der fuchsteufelswilde Ingenieur durchführen ließ, stellte sich heraus, dass die Gans definitiv nicht während der Han-Dynastie hundert Jahre vor Christus von einem Handwerker der Zhejiang-Provinz hergestellt worden war, sondern vielmehr während gar keiner Dynastie, circa eintausendneunhundertfünfundsiebzig Jahre nach Christus von drei jungen Chinesinnen in einem Vorort von Johannesburg.
    Doch die Mädchen waren so unvorsichtig gewesen, ihm die Gans in ihrem eigenen Zuhause zu zeigen. Daher konnten der Ingenieur und das Justizsystem die drei fassen. Von den fünfzehntausend Rand waren nur noch zwei übrig, so dass die Mädchen nun noch mindestens weitere zehn Jahre auf Pelindaba eingesperrt waren.
    »Unter uns nennen wir den Ingenieur«, sagte eines der Mädchen.
    »Die Gans«, übersetzte Nombeko.
    Was sich die Chinesinnen am allermeisten wünschten, war die Rückkehr ins Chinesenviertel von Johannesburg, um dort die Produktion von Gänsen aus der Zeit vor Christi Geburt wiederaufzunehmen, nur dass sie die Sache diesmal etwas eleganter aufziehen wollten.
    Während sie darauf warteten, hatten sie aber genauso wenig zu leiden wie Nombeko. Zu ihren Arbeitsaufgaben gehörte es, dem Ingenieur und dem Wachpersonal das Essen zu servieren und sich um die Ein- und Ausgangspost zu kümmern. Nicht zuletzt die Ausgangspost. Alles, was man stehlen konnte, ohne dass es jemand vermisste, wurde einfach an die Mutter der Mädchen umadressiert und in den Postausgangskorb gelegt. Ihre Mutter nahm die Sendungen dankbar entgegen, verkaufte sie weiter und freute sich, dass sie damals die Investition nicht gescheut hatte, ihre Töchter Englisch lesen und schreiben lernen zu lassen.
    Dass sie dabei schludrig und allzu risikofreudig vorgingen, wurde ihnen jedoch in regelmäßigen Abständen zum Verhängnis. Wie damals, als eine von ihnen die Adressaufkleber verwechselte, so dass der Außenminister höchstpersönlich bei Ingenieur Westhuizen anrief und nachfragte, warum er ein Paket mit acht Kerzen, zwei Lochern und vier leeren Ordnern bekommen habe – während die Mutter der Chinesenmädchen einen vierhundert Seiten dicken technischen Bericht entgegennahm und sofort verbrannte, in dem es um die Schwierigkeiten bei der Verwendung von Neptunium als Basis einer Kernspaltung ging.
    * * * *
    Es ärgerte Nombeko, dass sie so lange gebraucht hatte, bis ihr klar wurde, wie ungut ihre Lage war. So wie sich die Dinge entwickelt hatten, war sie überhaupt nicht zu sieben Jahren im Dienste des Ingenieurs verurteilt worden, sondern zu lebenslänglich. Im Gegensatz zu den drei Chinesenmädchen hatte sie vollen Einblick in das geheimste Projekt der Welt. Solange ein Zaun mit zwölftausend Volt zwischen ihr und irgendwelchen Menschen lag, denen sie sonst etwas hätte verraten können, bestand gar kein Problem. Aber wenn sie freigelassen wurde? Wie lange würde sie dann überleben? Zehn Sekunden. Vielleicht zwanzig. Mit etwas Glück.
    Ihre Situation ließ sich als mathematisches Problem ohne Lösung beschreiben. Denn wenn sie dem Ingenieur half, seinen Auftrag zu erfüllen, würde er den ganzen Ruhm absahnen, sich zurückziehen und eine großzügige Pension vom Staat kassieren. Nombeko hingegen, die alles Mögliche wusste, was sie gar nicht wissen durfte, würde einen Genickschuss kassieren.
    Tat sie jedoch alles, um ihn scheitern zu lassen – würde der Ingenieur in Ungnade fallen, entlassen werden und eine wesentlich bescheidenere Pension kassieren. Sie hingegen würde auch in diesem Fall einen Genickschuss kassieren.
    Kurz und gut: Diese Gleichung konnte sie einfach nicht lösen. Das Einzige, was

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