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Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)

Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)

Titel: Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Jonasson
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ihr blieb, war ein Balanceakt, das heißt, sie tat ihr Bestes, damit der Bluff des Ingenieurs nicht aufflog, sich das Projekt aber gleichzeitig so lang wie möglich verzögerte. Das würde sie zwar nicht vor bewusstem Genickschuss bewahren, aber je später er kam, desto größer ihre Chance, dass doch noch etwas dazwischenkam, so was wie eine Revolution, ein Aufstand des Personals oder irgendetwas anderes völlig Unglaubliches.
    Jedenfalls, solange sie keinen anderen Weg aus Pelindaba heraus fand.
    In Ermangelung anderer Ideen setzte sie sich ans Fenster der Bibliothek, so oft es ging, um die Aktivitäten an den Toren zu beobachten. Sie hielt sich zu verschiedenen Tageszeiten dort auf und prägte sich die Abläufe bei der Bewachung ein.
    Unter anderem entdeckte sie bald, dass sämtliche Fahrzeuge, die hinein- und hinausfuhren, von Wachen und Hunden durchsucht wurden – es sei denn, der Ingenieur selbst saß im Wagen. Oder der Leiter der Forschungsabteilung. Oder einer der beiden Mossadagenten. Diese vier waren offenbar über jeden Verdacht erhaben. Leider hatten sie aber auch bessere Garagenplätze als die anderen. Nombeko hätte selbstverständlich in die große Garage gehen und sich in einem Kofferraum verstecken können – nur um dann von einer Wache nebst diensthabendem Hund entdeckt zu werden. Letzterer war angewiesen, zuerst zuzubeißen und dann sein Herrchen zu fragen. Aber zu der kleinen Garage, in der die feinen Leute parkten und wo es auch Kofferräume gab, in denen man überleben konnte, hatte sie keinen Zugang. Der Garagenschlüssel war einer der wenigen Schlüssel des Ingenieurs, die nicht in dem Schränkchen verwahrt wurden, für das Nombeko verantwortlich war. Den brauchte er ja jeden Tag, und deswegen trug er ihn immer bei sich.
    Eine weitere Beobachtung, die Nombeko machen konnte, war die, dass die schwarze Putzfrau im äußeren Bereich tatsächlich den Fuß über die Grenze nach Pelindaba setzte, wenn sie die grüne Mülltonne direkt hinter dem inneren der zwei Zwölftausendvoltzäune ausleerte. Das geschah jeden zweiten Tag, und Nombeko war fasziniert, denn sie war ziemlich sicher, dass die Putzfrau dort offiziell gar keinen Zutritt hatte, die Wachen es aber trotzdem durchgehen ließen, damit sie ihren Dreck nicht selbst wegmachen mussten.
    Da keimte in ihrem Kopf ein tollkühner Gedanke auf. Nombeko konnte sich ja durch die große Garage ungesehen zur Mülltonne schleichen, hineinkriechen und mit der Schwarzen an den Toren vorbei bis zu den Containern in Freiheit gelangen. Die Frau leerte die Tonne nach einem strengen Zeitplan jeden zweiten Tag um 16.05 Uhr und überlebte dieses Manöver nur deswegen, weil die Wachhunde gelernt hatten, dass man diese Negerin nicht in Stücke reißen durfte, ohne Herrchen vorher zu fragen. Allerdings beschnupperten sie jedes Mal wieder misstrauisch die Tonne.
    Man musste die Hunde also für einen Nachmittag oder so außer Gefecht setzen. Dann, und nur dann, hatte die blinde Passagierin eine Chance, ihre Flucht zu überleben. Wie wäre es wohl mit einer klitzekleinen Lebensmittelvergiftung?
    Nombeko weihte die drei Chinesenmädchen in ihren Plan ein, weil sie für die Verköstigung der gesamten Wachmannschaft samt Sektor G verantwortlich waren, und dazu gehörten Mensch und Tier.
    »Selbstverständlich!«, sagte Große Schwester, als Nombeko die Sache ansprach. »Zufällig sind wir alle drei Expertinnen im Hundevergiften. Oder zumindest zwei von uns.«
    Eigentlich hatte Nombeko aufgehört, sich über das Tun und Lassen der Chinesenmädchen zu wundern, aber das war nun wirklich bemerkenswert. Sie sagte also, Große Schwester könne ihr diese Aussage gern näher erläutern, damit Nombeko sich nicht für den Rest ihres Lebens den Kopf darüber zerbrechen musste. Wie lang dieser Rest auch immer sein mochte.
    Tja, bevor die Chinesenmädchen und ihre Mutter in die lukrative Fälschungsbranche einstiegen, hatte die Mutter einen Hundefriedhof in Parktown West betrieben, einem weißen Vorort von Johannesburg. Das Geschäft lief schlecht, denn die Hunde waren genauso gesund und wohlgenährt wie die Menschen in dieser Gegend allgemein und lebten daher viel zu lange. Doch dann verfiel ihre Mutter darauf, dass Große Schwester und Mittlere Schwester den Umsatz steigern konnten, indem sie vergiftetes Hundefutter in den Parks auslegten, in denen die Pudel und Pekinesen der Langnasen Auslauf hatten. Kleine Schwester war damals noch zu klein und hätte leicht auf die Idee kommen

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