Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
in ihrem Pass zu lesen, falls es den Ingenieur interessieren sollte, und außerdem sei sie schon seit einer geraumen Weile und mit seiner ausdrücklichen Genehmigung für den Schlüsselschrank verantwortlich, in dem selbstverständlich auch der Schlüssel für seine Schreibtischschublade hing.
»Und abgehauen bin ich trotzdem nicht«, sagte Nombeko und dachte im Stillen, dass dieser Umstand freilich eher den Wachen, den Hunden, den Alarmanlagen, dem Minenfeld und den zwölftausend Volt auf dem Elektrozaun zuzuschreiben war.
Wütend starrte der Ingenieur seine Putzfrau an. Jetzt war die schon wieder so vorlaut. Die konnte einen manchmal echt wahnsinnig machen. Und dann hatte sie auch noch ständig recht.
Verdammtes Weibsstück.
Zweihundertfünfzig Personen arbeiteten auf verschiedenen Positionen am geheimsten aller geheimen Projekte. Nombeko hatte schon bald festgestellt, dass der oberste Chef so gut wie keine Talente besaß, abgesehen von der Kunst, sich zu bereichern. Und dann hatte er eben auch noch Glück (bis zu dem bewussten Tag, an dem es ihn verließ).
In einer Phase der technischen Entwicklung bestand eines der hartnäckigsten Probleme in der Leckage bei den Versuchen mit dem Uranhexafluorid. Ingenieur van der Westhuizen hatte an der Wand seines Büros eine schwarze Tafel hängen, auf die er Striche zeichnete und Pfeile malte und mit Formeln herumhantierte, damit es für seine Umwelt so aussah, als würde er nachdenken. Dann saß er in seinem Sessel und murmelte »Wasserstoffgas«, »Uranhexafluorid« und »Leckage«, und darunter mengte er allerlei Flüche auf Englisch und Afrikaans. Nombeko hätte ihn vielleicht einfach murmeln lassen sollen, sie war schließlich zum Putzen da. Doch am Ende machte sie doch den Mund auf und sagte:
»Ich weiß ja nicht so viel über Wasserstoffgas, und von Uranhexafluorid hab ich auch so gut wie noch nie was gehört. Aber an diesem etwas kryptischen Versuch des Herrn Ingenieur hier an der Tafel kann ich doch sehen, dass er ein autokatalytisches Problem hat.«
Der Ingenieur sagte nichts, sondern schaute an Wiehießsienochgleich vorbei zur Flurtür, um sich zu vergewissern, dass dort keiner stand und Zeuge wurde, wie ihn dieses merkwürdige Geschöpf zum soundsovielten Mal völlig sprachlos machte.
»Darf ich das Schweigen des Herrn Ingenieur so deuten, dass ich seine Erlaubnis zum Weitersprechen habe? Sonst wünscht er ja immer, dass ich nur rede, wenn ich angesprochen werde.«
»Ja, ja, red schon weiter!«, sagte der Ingenieur.
Nombeko lächelte freundlich und meinte, was sie betraf, ihr wäre es egal, wie die unterschiedlichen Bestandteile des Problems aussahen, sie ließen sich auf jeden Fall zu Mathematik machen.
»Nennen wir das Wasserstoffgas A, das Uranhexafluorid B«, begann Nombeko.
Mit diesen Worten trat sie an die Wandtafel, wischte den Unfug des Ingenieurs weg und malte die Geschwindigkeitsgleichung für eine autokatalytische Reaktion erster Ordnung hin.
Da der Ingenieur nur mit leerem Blick auf die Tafel starrte, verdeutlichte sie ihre weitere Argumentation, indem sie eine sigmoidale Kurve dazuzeichnete.
Als sie fertig war, begriff sie, dass Ingenieur van der Westhuizen von ihren Ausführungen nicht mehr verstand als der durchschnittliche Latrinentonnenträger oder auch ein Assistent vom Sanitätsamt von Johannesburg.
»Verstehen Sie das bitte, Herr Ingenieur«, sagte sie, »ich muss jetzt noch ein paar Böden schrubben. Aber wie gesagt, das Gas und das Fluorid können nicht miteinander, und dann überschlagen sich die Dinge.«
»Und wie sieht die Lösung aus?«, wollte der Ingenieur wissen.
»Das weiß ich nicht«, sagte Nombeko. »Darüber konnte ich noch nicht nachdenken. Wie gesagt, ich bin hier ja nur die Putzfrau.«
In diesem Augenblick trat einer von Ingenieur van der Westhuizens qualifizierten Mitarbeitern ein. Er war vom Leiter der Forschungsabteilung geschickt worden, um die frohe Botschaft zu überbringen, die Arbeitsgruppe sei nun darauf gekommen, dass das Problem ein autokatalytisches war, daher gebe es chemische Verunreinigungen in den Filtern, und demnächst werde man eine Lösung dafür gefunden haben.
Doch der Mitarbeiter brauchte nichts davon zu sagen, denn direkt hinter dem Kaffer mit dem Mopp sah er, was der Ingenieur an seine Tafel gemalt hatte.
»Ach, der Chef hat schon selbst ausgerechnet, was ich erzählen wollte. Da will ich nicht weiter stören«, sagte der Mitarbeiter und machte auf dem Absatz kehrt.
Ingenieur van
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