Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
können, das Hundefutter selbst zu kosten, wenn sie welches in die Finger gekriegt hätte.
Innerhalb kürzester Zeit hatte die Besitzerin des Hundefriedhofs doppelt so viel zu tun, und die Familie hätte bis zum heutigen Tage gut davon leben können, doch dann wurden sie ehrlich gesagt etwas zu gierig. Denn als es mehr tote als lebendige Hunde in den Parks gab, richteten die weißen Rassisten die Blicke natürlich zuerst auf das einzige Schlitzauge der Gegend und ihre drei Töchter.
»Mann, die haben wirklich solche Vorurteile«, meinte Nombeko.
Die Mutter musste in aller Eile ihre Koffer packen, versteckte sich mit den Kindern im Zentrum von Johannesburg und wechselte die Branche.
Das lag nun schon einige Jahre zurück, aber die Mädchen wussten immer noch, wie man Hundefutter auf verschiedenste Art dosieren konnte.
»Na ja, das wären hier acht Hunde – und sie sollen bloß ein bisschen vergiftet werden«, sagte Nombeko, »so dass sie ein, zwei Tage etwas kränkeln. Mehr nicht.«
»Klingt nach einer typischen Ethylenglykolvergiftung«, meinte Mittlere Schwester.
»Hab ich mir auch grad gedacht«, meinte Große Schwester.
Und dann diskutierten sie über die passende Dosis. Mittlere Schwester war der Ansicht, drei Deziliter dürften genügen, während Große Schwester zu bedenken gab, dass es hier ja um gestandene Schäferhunde ging, nicht um irgendeinen kleinen Chihuahua.
Am Ende einigten sich die Mädchen darauf, dass fünf Deziliter reichen müssten, um die Hunde bis zum nächsten Tag in einen leidlich schlechten Zustand zu versetzen.
Die Mädchen waren das Problem derart sorglos angegangen, dass Nombeko es schon wieder bereute. Begriffen sie nicht, wie übel es für sie aussah, wenn das vergiftete Hundefutter zu ihnen zurückverfolgt wurde?
»Ach Quatsch«, sagte Kleine Schwester. »Das wird schon werden. Wir müssen erst mal einen Eimer Ethylenglykol bestellen, sonst wird das nämlich nichts mit dem Vergiften.«
Jetzt bereute es Nombeko schon doppelt und dreifach. Ging ihnen denn nicht in den Kopf, dass das Sicherheitspersonal sie nach wenigen Minuten als Schuldige identifizieren würde, wenn man entdeckte, was da für ein Artikel zu einer ganz gewöhnlichen Einkaufsliste hinzugefügt worden war?
Doch da fiel ihr etwas ein.
»Wartet mal«, sagte sie. »Unternehmt nichts, bis ich wieder da bin. Gar nichts!«
Die Mädchen sahen Nombeko verblüfft nach. Was wollte sie denn nun?
Doch Nombeko war etwas eingefallen, was sie in einem der unzähligen Berichte des Leiters der Forschungsabteilung an den Ingenieur gelesen hatte. Es ging nicht um Ethylenglykol, sondern um ein anderes Ethandiol. Im Bericht stand, dass die Forscher mit Flüssigkeiten experimentierten, deren Siedepunkt bei über hundert Grad lag, um einen um ein paar Zehntelsekunden verzögerten Temperaturanstieg in der kritischen Masse zu erzielen. Da kam das Ethandiol ins Spiel. Hatten Ethandiol und Ethylenglykol nicht ungefähr dieselben Eigenschaften?
Während die Bibliothek der Forschungsanlage schlichtweg mies war, wenn es um die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse ging, bot sie umso bessere Informationen allgemeiner Art. Zum Beispiel die Bestätigung, dass Ethandiol und Ethylenglykol nicht nur ungefähr dieselben Eigenschaften hatte. Sie waren identisch .
Nombeko lieh sich zwei Schlüssel aus dem Schlüsselschrank des Ingenieurs aus und schlich sich in die große Garage und ins Chemielager neben der Schaltzentrale. Dort fand sie einen fast vollen 25-Liter-Eimer Ethandiol. Sie goss fünf Liter davon in ihren mitgebrachten Eimer und kehrte zu den Mädchen zurück.
»Hier, das dürfte locker reichen«, sagte sie.
Nombeko und die Mädchen beschlossen, zuerst nur eine ganz schwache Dosis unters Hundefutter zu mischen, um zu sehen, was passierte. Dann konnten sie die Menge steigern, bis irgendwann der Zustand erreicht war, in dem alle acht Hunde krankgeschrieben waren, ohne dass das Wachpersonal einen Anschlag vermutete.
Daher senkten die Chinesenmädchen auf Nombekos Warnungen hin die Dosis von fünf Dezilitern auf vier, begingen jedoch den Fehler, Kleine Schwester dosieren zu lassen, also ausgerechnet diejenige von den dreien, die damals noch zu klein zum Hundevergiften gewesen war. Und so mengte sie schon beim ersten, vorsichtigen Versuch vier Deziliter Ethylenglykol pro Hund unters Futter. Zwölf Stunden später waren alle acht Hunde so mausetot wie diejenigen in Parktown West ein paar Jahre zuvor. Außerdem befand sich die
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