Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
der Westhuizen saß schweigend hinter seinem Schreibtisch und schenkte sich das nächste Glas Klipdrift ein.
Nombeko meinte, das sei ja wirklich Glück gewesen, nicht wahr? Jetzt werde sie ihn auch gleich in Frieden lassen, sie habe nur noch zwei Fragen. Erstens, ob der Herr Ingenieur es für passend erachte, wenn sie eine mathematische Beschreibung dafür lieferte, wie die Arbeitsgruppe die Kapazität von zwölftausend SWU pro Jahr auf zwanzigtausend steigern konnte, bei einem gleichbleibenden Urananteil von 0,46 Prozent?
Er erachtete es für passend.
Zweitens, ob der Herr Ingenieur wohl so nett sein könnte, ihr eine neue Scheuerbürste fürs Büro zu bestellen, denn sein Hund habe die alte zerkaut.
Der Ingenieur antwortete, er könne ihr nichts versprechen, werde aber sehen, was sich machen ließ.
Da sie nun mal eingesperrt war und nichts anderes anfangen konnte, fand Nombeko, dass sie genauso gut die Lichtblicke ihres Daseins genießen konnte. Zum Beispiel war es doch eine spannende Angelegenheit zu beobachten, wie lange Westhuizen mit seinem Bluff durchkommen würde.
Und im Großen und Ganzen ging es ihr ja durchaus gut. Sie las ihre Bücher, wenn es keiner sah, schrubbte hie und da ein paar Flure, leerte ein paar Aschenbecher, las die Analysen des Forschungsteams und gab sie in möglichst vereinfachter Form an den Ingenieur weiter.
Ihre Freizeit verbrachte sie mit den anderen Hilfskräften. Die gehörten zu einer Minderheit, die das Apartheidregime nicht so recht einordnen konnte – laut Regelwerk waren sie als »sonstige Asiaten« zu klassifizieren. Genauer gesagt: Chinesen.
Die Chinesen als Rasse waren vor knapp hundert Jahren in Südafrika gelandet, zu einer Zeit, als das Land billige Arbeitskräfte (die bitte schön auch nicht so viel rumjammerten) für die Goldminen bei Johannesburg brauchte. Das war Geschichte, aber die chinesische Kolonie bestand weiterhin, und ihre Muttersprache gedieh.
Die drei Chinesenmädchen (Kleine Schwester, Mittlere Schwester und Große Schwester) waren abends zusammen mit Nombeko eingesperrt. Anfangs verhielten sie sich abwartend, aber da man zu viert viel besser Mah-Jongg spielen kann als zu dritt, fanden sie, dass es einen Versuch wert war, vor allem weil dieses Mädchen aus Soweto anscheinend gar nicht mal so dumm war, wie man meinen konnte (immerhin war sie ja nicht gelb).
Nombeko schloss sich ihnen gerne an, und schon bald wusste sie fast alles über Pong, Kong, Chow und alle möglichen Winde aus allen erdenklichen Richtungen. Sie war jedoch im Vorteil, da sie alle hundertvierundvierzig Steine memorieren konnte, so dass sie drei von vier Partien gewann und eines der Mädchen die vierte gewinnen ließ.
Die Chinesenmädchen ließen sich auch jede Woche einmal von Nombeko erzählen, was in der Zwischenzeit so in der Welt passiert war, auf Grundlage dessen, was sie auf den Fluren und durch die Wände hatte aufschnappen können. Die Nachrichten waren zwar bruchstückhaft, aber das Publikum war auch nicht allzu anspruchsvoll. Wie zum Beispiel damals, als Nombeko erzählte, China habe soeben beschlossen, dass Aristoteles und Shakespeare nicht mehr verboten sein sollten, und die Mädchen bemerkten, da würden sich die zwei sicher sehr freuen.
Durch diese Nachrichtenabende und das Mah-Jongg-Spielen wurden die Schwestern im Unglück zu Freundinnen. Die Zeichen und Symbole auf den Spielsteinen regten die Mädchen außerdem dazu an, Nombeko ihren chinesischen Dialekt beizubringen, woraufhin sich alle über ihre Gelehrigkeit amüsierten, wie auch über die nicht ganz so glanzvollen Versuche der Schwestern, das isiXhosa zu lernen, das Nombekos Mutter an ihre Tochter weitergegeben hatte.
Die drei Chinesenmädchen hatten rückblickend betrachtet einen etwas zwielichtigeren Lebenswandel geführt als Nombeko. Sie waren ungefähr auf dieselbe Art in der Welt des Ingenieurs gelandet wie sie, wenngleich sie zu fünfzehn statt sieben Jahren verurteilt worden waren. Es hatte damit begonnen, dass sie den Ingenieur in einer Bar in Johannesburg trafen, wo er alle drei zusammen anbaggerte, dann aber erfuhr, dass sie Geld für eine kranke Verwandte benötigten und daher … nicht ihren Körper, sondern ein wertvolles Familienerbstück verkaufen wollten.
Der Ingenieur war in erster Linie geil, doch da er in zweiter Linie witterte, dass er hier ein Schnäppchen machen konnte, folgte er den drei Mädchen nach Hause, wo man ihm eine gemusterte tönerne Gans zeigte, die aus der Han-Dynastie
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