Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
schwerer für P. W. Botha. Aber als das große Krokodil, das er nun mal war, hielt er es eben auch in tiefem Wasser aus und sorgte nur dafür, dass die Nasenlöcher und die Augen immer schön über der Oberfläche blieben.
Freilich konnte er sich Reformen vorstellen, man musste schließlich auch mit der Zeit gehen. Zum Beispiel bei der althergebrachten Einteilung des Volkes in Schwarze, Weiße, Farbige und Inder. Jetzt sorgte er erst mal dafür, dass die beiden Letzteren Stimmrecht bekamen. Die Schwarzen übrigens auch, aber nicht in Südafrika, sondern in ihren jeweiligen Homelands.
Botha lockerte auch die Restriktionen im allgemeinen Umgang zwischen den Rassen. Schwarze und Weiße durften nun auf derselben Parkbank sitzen – zumindest theoretisch. Sie konnten auch ins selbe Kino gehen und sich denselben Film ansehen – zumindest theoretisch. Und sie konnten auch Körperflüssigkeiten miteinander austauschen – zumindest theoretisch (na gut, das vielleicht auch praktisch, aber da waren dann entweder Geld oder Gewalt im Spiel).
Im Übrigen konzentrierte der Präsident alle Macht auf sich, mistete noch ein paar Menschenrechte aus und führte die Pressezensur ein. Die Zeitungen waren doch selber schuld, wenn sie nicht gescheit genug waren, etwas Gescheites zu schreiben. Wenn ein Land ins Schlingern kommt, ist handfeste Führung gefragt, kein Wir-haben-uns-alle-lieb-Kuscheljournalismus von der ersten bis zur letzten Seite.
Doch wie Botha es auch anfasste, es wollte nicht gelingen. Die Wirtschaft des Landes war erst ganz leicht in Fahrt gekommen, um kurz darauf jedoch ins Stocken zu geraten und dann abzusacken. Und es war auch nicht kostenlos einzurichten, das Militär jede Unruhe in so gut wie jedem Slum niederschlagen zu lassen. Die Schwarzen waren ja mit nichts zufrieden. Man denke nur daran, wie Botha dem verdammten Nelson Mandela angeboten hatte, ihn freizulassen, wenn er im Gegenzug versprach, sich in Zukunft etwas fügsamer gegenüber der Regierung zu verhalten. »Hör auf, Ärger zu machen«, war Bothas einzige Forderung. »Nein, dann bleib ich lieber, wo ich bin«, sagte dieser Mistkerl nach zwanzig Jahren auf seiner Gefängnisinsel, und das tat er dann auch.
Mit der Zeit stand fest, dass die größte Veränderung, die P. W. Botha mit seiner neuen Verfassung auf den Weg gebracht hatte, darin bestand, sich vom Premierminister zum Präsidenten gemacht zu haben. Und Mandela zu einer größeren Ikone denn je.
Im Übrigen war alles gleich geblieben. Nein, falsch. Im Übrigen war alles schlimmer geworden.
Botha bekam die Dinge langsam satt. Er begriff, dass eine Machtübernahme durch den ANC tatsächlich denkbar war. Und dann … tja, wer legte schon einer kommunistischen Negerorganisation freiwillig sechs Atomwaffen in die Hand? Da war es doch besser, die Waffen abzubauen und eine PR-Nummer daraus zu machen! »Wir übernehmen unsere Verantwortung« und der ganze Schmus, und das Ganze unter den Augen der internationalen Atomenergie-Organisation IAEA .
Ja, so konnte man das doch tatsächlich machen. Der Präsident war noch nicht so weit, eine Entscheidung in dieser Frage zu treffen, aber er rief den verantwortlichen Ingenieur in Pelindaba persönlich an, um ihn in Standby-Position zu versetzen. (Hatte der wirklich schon um neun Uhr morgens gelallt? Nein, unmöglich.)
* * * *
Ingenieur van der Westhuizens kleiner Rechenfehler (der aus sechs Bomben sieben werden ließ) wurde plötzlich zu einem sehr ungemütlichen Geheimnis. Der Präsident hatte von der Möglichkeit gesprochen, dass man die sechs Atombomben zerstören musste. Die sechs Bomben. Die siebte nicht. Denn die gab es ja gar nicht.
Nun musste der Ingenieur also entweder seinen Fehler zugeben und damit auch bekennen, dass er ihn jahrelang verheimlicht hatte – und einen unehrenhaften Abschied samt minimaler Pension dafür in Kauf nehmen.
Oder die ganze Sache zu seinem Vorteil wenden. Und sich dadurch finanziell unabhängig machen.
Der Ingenieur hatte Angst. Aber nur, bis er den letzten halben Liter Klipdrift im Blut hatte. Dann fiel ihm die Wahl plötzlich ganz leicht.
Er konnte die Uhr lesen. Und er wusste, dass seine Stunde geschlagen hatte. Es wurde Zeit, sich mal ernsthaft mit den Mossadagenten A und B zu unterhalten.
»He, du, Wieheißtdunochgleich!«, lallte er. »Kannst du mal die beiden Juden herholen? Ich will mit ihnen ins Geschäft kommen!«
Engelbrecht van der Westhuizen hatte sich bereits ausgerechnet, dass sein Auftrag früher
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