Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
so drastisch aus, dass er noch ein zweites Mal überfahren wurde, als A stehen blieb und den Rückwärtsgang einlegte, und ein drittes Mal, als der Agent sich eiligst davonmachte.
Ironie des Schicksals, dass der Ingenieur auf dem Bürgersteig dahinging, als es geschah.
»War das etwa schon alles?«, dachte er zwischen dem zweiten und dem dritten Mal, genau wie Nombeko elf Jahre zuvor in ähnlicher Lage.
Und das war tatsächlich alles.
* * * *
Mossadagent B suchte Nombeko auf, sowie die Nachricht vom Tod ihres Vorgesetzten die Forschungsanlage erreicht hatte. Noch wurde der Vorfall als Unfall eingestuft, aber das sollte sich ändern, sobald Zeugen und diverse Techniker vor Ort ihre Aussagen gemacht hatten.
»Wir hätten da vielleicht das eine oder andere zu besprechen, Fräulein Nombeko«, sagte er. »Und leider eilt es.«
Nombeko sagte erst gar nichts, dachte aber umso mehr. Sie dachte, dass der Garant für ihr physisches Wohlbefinden, der unverbesserliche Suffkopp van der Westhuizen, jetzt tot war. Sie dachte, dass es ihr in nicht allzu ferner Zukunft ähnlich ergehen würde. Wenn sie jetzt nicht ganz schnell dachte.
Aber das tat sie. Und dann sagte sie:
»Ja, allerdings. Dürfte ich Sie daher bitten, Herr Agent, Ihren Kollegen zu einem Treffen im Büro des Ingenieurs mitzubringen, in exakt dreißig Minuten?«
Agent B hatte schon vor langer Zeit bemerkt, dass Fräulein Nombeko ein helles Köpfchen war. Ihm war klar, dass sie um ihre prekäre Situation wusste. Das versetzte seinen Kollegen und ihn in eine überlegene Position.
Fräulein Nombeko besaß die Schlüssel zu den verbotensten Fluren und die Möglichkeit, sich darin zu bewegen. Sie würde dafür sorgen, dass die Agenten ihre Bombe bekamen. Im Gegenzug würden sie ihr eine Notlüge auftischen.
Das Versprechen, dass sie weiterleben durfte.
Aber nun hatte sie sich eine halbe Stunde erkauft. Warum wohl? Der Agent kapierte fast alles, aber das nicht. Na gut, eine halbe Stunde war ja bloß eine halbe Stunde, auch wenn die Dinge inzwischen etwas eilten. Die südafrikanische Sicherheitspolizei konnte jeden Augenblick dahinterkommen, dass der Ingenieur ermordet worden war. Danach würde es sich wesentlich schwieriger gestalten, eine Bombe von drei Megatonnen aus der Anlage herauszuschaffen, selbst für den Geheimagenten eines kooperierenden Geheimdienstes.
Na gut, eine halbe Stunde war immer noch bloß eine halbe Stunde. Agent B nickte.
»Dann sehen wir uns um 12.05 Uhr.«
»12.06 Uhr«, sagte Nombeko.
In diesen dreißig Minuten tat sie nichts anderes, als abzuwarten, dass die Zeit ablief.
Die Agenten waren genau zum verabredeten Zeitpunkt zurück. Nombeko saß auf dem Sessel des Ingenieurs und lud sie freundlich ein, auf der anderen Seite des Schreibtischs Platz zu nehmen. Das Bild war mal ein ganz anderes. Eine junge Schwarze auf einem Chefsessel im Herzen des südafrikanischen Apartheidsystems.
Nombeko sprach die einführenden Worte. Sie sagte, ihr sei klar, dass die Herren Mossadagenten hinter der siebten Atombombe her waren, die es nicht gab. Oder irrte sie sich da?
Die Agenten schwiegen, weil sie die Wahrheit ungern so offen aussprechen wollten.
»Lassen Sie uns bei diesem Treffen doch alle aufrichtig sein«, forderte Nombeko sie auf. »Sonst kommen wir keinen Schritt weiter, und dann ist es auf einmal zu spät.«
Agent A nickte und meinte, Fräulein Nombeko habe die Dinge ganz richtig erfasst. Wenn Israel mit ihrer Hilfe an die Bombe käme, würden sie ihr im Gegenzug helfen, aus Pelindaba herauszukommen.
»Ohne dass ich hinterher so überfahren werde wie der Ingenieur?«, fragte Nombeko. »Oder erschossen und in der nächsten Steppe verbuddelt?«
»Aber nicht doch, Fräulein Nombeko«, log Agent A. »Wir haben nicht die Absicht, Ihnen auch nur ein Haar zu krümmen. Was denken Sie denn eigentlich von uns?«
Nombeko schien sich mit dem Versprechen des Agenten zu begnügen. Sie fügte hinzu, im Übrigen sei sie schon einmal im Leben überfahren worden, und das reiche.
»Wie wollen Sie die Bombe überhaupt hier rauskriegen, wenn ich fragen darf? Vorausgesetzt, ich verschaffe Ihnen Zugang zum Lagerraum.«
Agent B antwortete, das dürfte ganz leicht sein, wenn sie sich nur beeilten. Die Kiste mit der Bombe konnte ans israelische Außenministerium in Jerusalem adressiert und noch in der Anlage mit entsprechenden Dokumenten als Diplomatenpost aufgegeben werden. Diplomatenbriefe wurden mindestens einmal pro Woche über die Botschaft in
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