Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
schießen, wenn er ihn nicht zu Nombeko und ihrer Kiste brachte. Viel aufgebrachter war er darüber, dass die südafrikanische Freundin seines Bruders ihn angeschmiert hatte. Und jetzt war alles zu spät. Sieben Jahre lang hätte er tagtäglich die Möglichkeit gehabt, die Lebensaufgabe seines Vaters zu erfüllen, aber er hatte es nicht mal geahnt.
»Vielleicht hast du meine Frage nicht gehört?«, sagte der Agent. »Hörst du mir vielleicht besser zu, wenn ich dir mal kurz ins Knie schieße?«
Ins Knie, nicht zwischen die Augen. Weil Nummer eins noch eine Funktion zu erfüllen hatte. Aber was würde hinterher mit ihm geschehen? Wenn er den Agenten in die Fredsgatan führte, würde sich der Mann mit der Pistole dann wohl die Kiste (die ungefähr eine Tonne wiegen mochte) unter den Arm klemmen und ihm zum Abschied fröhlich zuwinken?
Nein, das ganz bestimmt nicht. Im Gegenteil, er würde sie alle töten. Aber erst nachdem sie ihm geholfen hatten, die Bombe in den roten Lkw zu verfrachten.
Er würde sie alle töten, wenn Holger nicht gleich das machte, was er jetzt machen musste, wie er erkannte. Denn jetzt konnte er nur noch um zweierlei kämpfen: das Lebensrecht seines Bruders und Celestines.
»Ich werde den Herrn Agenten zu Nombeko bringen«, sagte Holger 1 schließlich. »Aber wenn er sie nicht verpassen will, müssen wir den Helikopter nehmen. Sie und die Bombe sind nämlich schon auf dem Weg außer Landes.«
Die Lüge, dass es eilig war, war ihm aus heiterem Himmel zugeflogen. Vielleicht konnte man sie sogar als Idee bezeichnen. Das wäre dann die erste ihrer Art, dachte Holger. Und zugleich die letzte, denn jetzt würde er endlich etwas Vernünftiges mit seinem Leben anfangen.
Nämlich sterben.
Agent A hatte nicht vor, sich ein drittes Mal von der Putzfrau und ihrem Gefolge an der Nase herumführen zu lassen. Wo konnte hier der Haken sein?
Hatte Nombeko erkannt, dass sie mit Holger Qvists Fernsehauftritt in Gefahr geraten war? Packte sie deswegen ihre Sachen, um zu fliehen? Der Agent konnte eine tönerne Gans aus der Han-Dynastie von Trödel unterscheiden und einen ungeschliffenen Diamanten von billigem Glas. Und noch so einiges mehr.
Aber er konnte keinen Hubschrauber fliegen. Also musste er dem Piloten vertrauen, also diesem Mann, der ihm gegenübersaß. Zwei Personen würden in der Kabine sitzen: eine am Steuerknüppel und die andere daneben mit der Waffe in der Hand.
A entschied sich für den Helikopter, aber auch für ein kurzes Telefonat mit B, für den Fall, dass hier irgendetwas schiefgehen sollte.
»Gib mir die exakten Koordinaten des Ortes, an dem sich die Putzfrau aufhält«, sagte er.
»Die Putzfrau?«, fragte Holger 1.
»Fräulein Nombeko.«
Holger tat, was von ihm verlangt wurde. Über den PC im Büro beziehungsweise sein Kartenprogramm ging das innerhalb von Sekunden.
»Gut. Und jetzt sitz schön still, während ich meine Nachricht verschicke. Danach fliegen wir los.«
Agent A hatte ein hochmodernes Handy, mit dem er eine verschlüsselte SMS an Kollegen B senden konnte. Er berichtete, wo er sich befand, mit wem und wohin er unterwegs war und warum.
»Auf geht’s«, sagte er dann.
Holger 1 hatte im Laufe der Jahre bestimmt neunzig Übungsstunden mit den Piloten der Helikoptertaxi AG in Bromma zusammenbekommen. Aber dies war das erste Mal, dass er den Hubschrauber allein fliegen sollte. Sein Leben war jetzt zu Ende, das wusste er. Die verdammte Nombeko hätte er gern mit in den Tod genommen – nannte der Agent sie eigentlich wirklich »Putzfrau«? –, aber nicht seinen Bruder. Und auch nicht seine wunderbare Celestine.
Sowie er den unbewachten Luftraum erreicht hatte, ging er auf zweitausend Fuß bei einer Geschwindigkeit von hundertzwanzig Knoten. Der Flug dauerte knappe zwanzig Minuten.
Als Nummer eins und der Agent fast schon in Gnesta waren, setzte Holger nicht zur Landung an. Stattdessen schaltete er auf Autopilot, Richtung Ost, Höhe gleichbleibend zweitausend Fuß, Geschwindigkeit gleichbleibend hundertzwanzig Knoten. Und dann machte er mit einem routinierten Handgriff seinen Sicherheitsgurt auf, nahm die Kopfhörer ab und kletterte nach hinten.
»Was tust du denn da?«, fragte der Agent, aber Holger sparte sich die Mühe, ihm zu antworten
Während Nummer eins die Hintertür aufschloss und aufschob, saß der Agent immer noch auf dem Vordersitz fest und konnte sich nicht richtig umdrehen, um nachzusehen, was Holger da trieb, es sei denn, er öffnete selbst seinen
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