Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
sitzen blieb.
»Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte er nervös.
»Darf ich mich vorstellen?«, sagte der Mann auf Englisch. »Wie ich heiße, geht dich nichts an, und ich arbeite für einen Geheimdienst, dessen Name dich auch nichts angeht. Wenn mir jemand was stiehlt, werde ich wütend. Wenn mir jemand eine Atombombe stiehlt, werde ich noch wütender. Im Übrigen hatte ich lange Zeit, so richtig Wut aufzubauen. Um es kurz zu machen: Ich bin extrem wütend.«
Holger Qvist kapierte überhaupt nichts. Kein ganz unbekanntes Gefühl für ihn, aber das hieß noch lange nicht, dass er sich in solchen Momenten wohlfühlte. Der Mann mit dem entschlossenen Blick (der eine ebenso entschlossene Stimme hatte) holte zwei vergrößerte Bilder aus seiner Aktentasche und legte sie auf den Schreibtisch. Das erste zeigte ganz deutlich Holger 2 auf einer Laderampe, das zweite, wie Nummer zwei und ein anderer Mann mithilfe eines Gabelstaplers eine große Kiste in den Lastwagen beförderten. Die Kiste. Die Bilder waren datiert vom 17. November 1987.
»Das bist du«, sagte der Agent und deutete auf Holgers Bruder. »Und das gehört mir«, sagte er und deutete auf die Kiste.
* * * *
Mossadagent A hatte aufgrund der verschwundenen Kernwaffe sieben Jahre gelitten. Doch die ganze Zeit über war er fest entschlossen, die Bombe wiederzufinden. Er begann sofort nach ihrem Verschwinden, zwei parallele Spuren zu verfolgen. Zum einen wollte er den Dieb finden und hoffte, dass Dieb und Diebesgut sich am selben Ort befanden. Zum andern hielt er die Ohren offen und horchte gespannt, ob irgendwo in Westeuropa oder anderswo plötzlich eine Atombombe zum Verkauf angeboten wurde. Wenn er die Bombe nicht über den Dieb fand, konnte er vielleicht beim Hehler fündig werden.
Zuerst fuhr A von Johannesburg nach Stockholm und begann seine Arbeit, indem er die Filme aus den Überwachungskameras der israelischen Botschaft durchging. Die Kamera am Eingangstor zeigte ganz deutlich, wie Nombeko Mayeki höchstpersönlich den Empfang ihres Paketes beim Wachmann quittierte.
Konnte es nicht einfach eine Verwechslung gewesen sein? Nein, warum hätte sie dann mit einem Lkw kommen sollen? Zehn Kilo Antilopenfleisch kann man ja fast in einem Fahrradkorb unterbringen.
Wäre es ein Irrtum gewesen, dann hätte sie zurückkehren müssen, nachdem sie die Verwechslung entdeckt hatte. Zu ihrer Verteidigung musste man ja sagen, dass sie nicht dabei war, als die Kiste in den Lastwagen geladen wurde, das belegten auch die Bilder aus sämtlichen Kameras. Da war sie immer noch um die Ecke beim Torwächter und unterschrieb die Dokumente.
Aber trotzdem, es konnte keinen Zweifel geben. Der mehrfach ausgezeichnete Geheimagent des Mossad war zum zweiten Mal in seiner Karriere hinters Licht geführt worden. Von einer Putzfrau. Von derselben Putzfrau wie beim ersten Mal.
Na, er war ja ein geduldiger Mensch. Eines Tages, früher oder später, würden sie sich wieder über den Weg laufen.
»Und dann, meine liebe Nombeko Mayeki, wirst du dir wünschen, du wärst jemand anders. Und anderswo.«
Die Kamera am Tor der Botschaft hatte auch das Kennzeichen des roten Lastwagens aufgezeichnet, der bei dem Waffendiebstahl zum Einsatz gekommen war. Eine zweite Kamera, die an der Laderampe der Botschaft, hatte mehrere deutliche Bilder von dem Weißen in Nombekos Alter gemacht, der ihr geholfen hatte. Agent A ließ sich einen Ausdruck machen und fertigte mehrere Kopien an.
Dann legte er los. Weitere Nachforschungen ergaben, dass Nombeko Mayeki am selben Tag aus dem Flüchtlingslager in Upplands Väsby geflohen war, an dem sie die Bombe aus der Botschaft gestohlen hatte. Seitdem war sie verschwunden.
Das Nummernschild führte ihn zu einer Agnes Salomonsson in Alingsås. Wie sich herausstellte, war ihr Auto zwar auch rot, aber es war kein Lkw, sondern ein Fiat Ritmo. Die Kennzeichen waren also gestohlen. Die Putzfrau agierte durchwegs professionell.
In der allerersten Phase seiner Arbeit blieb Agent A nur noch die Möglichkeit, Interpol die Bilder des Lkw-Fahrers weiterzuleiten. Das führte auch zu nichts. Die Person war kein bekanntes Mitglied irgendeiner Gruppe aus illegalen Waffenhändlerkreisen. Aber das änderte nichts daran, dass er eine Atombombe spazieren fuhr.
Agent A zog die logische, wenn auch falsche Schlussfolgerung, dass er von jemandem aufs Kreuz gelegt worden war, der sehr genau wusste, was er tat, dass sich die Atombombe schon nicht mehr auf schwedischem Boden befand und
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