Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)

Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)

Titel: Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Jonasson
Vom Netzwerk:
Vierpunktegurt. Aber wie funktionierte das? Er hatte es eilig, und es war ein fummeliger Verschluss, doch er versuchte es trotzdem. Dann drehte er sich so weit um, dass sich der Gurt straffte, und drohte:
    »Wenn du rausspringst, schieße ich!«
    Holger 1, der normalerweise nicht allzu schlagfertig war, überraschte sich selbst mit seiner Antwort:
    »Wozu? Damit ich auch ganz sicher tot bin, wenn ich auf dem Boden aufschlage? Inwiefern glaubt der Herr Agent seine Situation damit zu verbessern?«
    A war frustriert. Gleich würde er allein in einem Hubschrauber sitzen, den er nicht lenken konnte. Und der Pilot, der gerade dabei war, sich in den Tod zu stürzen, war ihm auch noch gepflegt übers Maul gefahren. Beinahe hätte er zum zweiten Mal in seinem Leben geflucht. Er drehte sich noch ein Stückchen um, versuchte, die Waffe von der rechten in die linke Hand zu nehmen und – ließ sie fallen!
    Die Pistole landete auf dem Boden hinter dem Rücksitz und schlitterte bis zu Holger, der an der geöffneten Tür stand, bereit zum Aussteigen. Nummer eins hob die Pistole verwundert auf und steckte sie in die Innentasche seiner Jacke. Dann meinte er, er wünsche dem Herrn Agenten viel Glück dabei, herauszufinden, wie ein S-76-Helikopter funktioniert.
    »Was für ein Pech, dass wir die Betriebsanleitung im Büro vergessen haben.«
    Mehr hatte Holger nicht zu sagen. Also sprang er. Und eine Sekunde lang spürte er einen gewissen inneren Frieden.
    Dann fiel ihm ein, dass er die Pistole ja auch auf den Agenten hätte abfeuern können.
    Typisch, dachte Holger 1. Meistens habe ich den falschen Gedanken, und den dann auch immer noch einen Tick zu langsam.
    Sein Körper beschleunigte auf zweihundertfünfundvierzig Stundenkilometer, während er seine sechshundertzehn Meter lange Reise zur steinharten Mutter Erde zurücklegte.
    »Lebwohl, grausame Welt. Papa, ich komme«, sagte Holger, konnte sich im Brausen des Windes aber selbst nicht hören.
    Und zurück blieb Agent A in einem auf Autopilot geschalteten Helikopter auf direktem Weg gen Osten, mit hundertzwanzig Knoten hinaus auf die Ostsee, ohne einen blassen Schimmer, wie man den Autopiloten wieder ausschaltete und was er – wenn ihm das gelang – anschließend tun sollte. Mit Brennstoff für ungefähr achtzig Minuten. Und mit hundertsechzig Minuten bis zur estnischen Grenze, und dazwischen nichts als Meer.
    Agent A warf einen Blick auf das Chaos an Knöpfen, Lämpchen und Instrumenten. Dann drehte er sich um. Die Schiebetür stand immer noch offen. Es war niemand mehr da, der diesen Hubschrauber fliegen konnte. Dieser Idiot hatte die Pistole eingesteckt und war gesprungen. Unter ihm verschwand jetzt das Festland, und er sah nur noch Wasser. Und noch mehr Wasser.
    Der Agent war nicht zum ersten Mal in seiner langen Karriere in Bedrängnis. Er war darauf trainiert, in solchen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren. Daher überdachte er seine Situation langsam und analytisch. Um am Ende zu sich selbst zu sagen:
    »Mama.«
    * * * *
    Das Abbruchhaus in der Fredsgatan 5 in Gnesta war schon fast zwanzig Jahre Abbruchhaus, als es schließlich doch noch von der Wirklichkeit eingeholt wurde. Es fing damit an, dass die Leiterin des Gewerbeaufsichtsamts mit ihrem Hund Gassi ging. Sie hatte schlechte Laune, weil sie am Vortag mit guten Gründen ihren Freund aus der gemeinsamen Wohnung geschmissen hatte. Und es wurde noch schlimmer, als sich ihr Hund losriss und einer freilaufenden Hündin hinterherrannte. Die Kerle waren doch alle gleich, ob sie nun zwei oder vier Beine hatten.
    Deswegen musste sie bei ihrem Morgenspaziergang einen ziemlichen Umweg machen, und bis sie ihren aufgegeilten Köter wieder eingefangen hatte, hatte die Leiterin des Gewerbeaufsichtsamtes entdeckt, dass in dem Abbruchhaus in der Fredsgatan 5 Leute zu wohnen schienen – in demselben Haus, in dem vor ein paar Jahren angeblich ein Restaurant hatte eröffnen sollen.
    Hatte man sie verarscht? Wenn sie eines mehr hasste als alles andere, dann das: ihren Ex und Verarschtwerden. Die Kombination, von ihrem Ex verarscht worden zu sein, war natürlich die allerschlimmste. Aber das hier war auch schon schlimm genug.
    Das Gelände war 1992 zum Industriegebiet bestimmt worden, als sich Gnesta von der Gemeinde Nyköping löste und selbstständig machte. Die Kommune hatte immer vorgehabt, etwas aus dem Gelände zu machen, aber dann kam regelmäßig was dazwischen. Doch die Leute durften nicht einfach wohnen, wo sie wollten.

Weitere Kostenlose Bücher