Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
dass er sich darauf konzentrieren musste, all die diffusen internationalen Spuren zu verfolgen, die es gab.
Seine Arbeit wurde nicht gerade erleichtert dadurch, dass die südafrikanische Bombe im Laufe der Jahre Gesellschaft von anderen weltenbummelnden Kernwaffen bekam. Nach der Auflösung der Sowjetunion tauchten an allen Ecken und Enden Atombomben auf – sowohl eingebildete als auch wirkliche. Schon 1991 wussten verschiedene Nachrichtendienste von einer verschwundenen Kernwaffe in Aserbaidschan zu berichten. Die Diebe hatten die Wahl zwischen zwei Missiles gehabt und sich für die leichtere entschieden. Was sie mitnahmen, war aber bloß die Hülle. Womit sie zugleich bewiesen, dass es bei Atombombendieben nicht unbedingt besser um den Verstand bestellt sein muss als beim Durchschnittsbürger.
1992 verfolgte Agent A die Spur des Usbeken Shavkat Abdujaparow, eines ehemaligen Obersten der Sowjetarmee, der Frau und Kinder in Taschkent verließ, verschwand und drei Monate später in Shanghai auftauchte, wo er eine Bombe für fünfzehn Millionen Dollar zum Kauf anbot. Der Preis legte die Vermutung nahe, dass es sich um eine Waffe handelte, die massiven Schaden anrichten konnte, aber bevor Agent A vor Ort eintraf, hatte man Oberst Abdujaparow mit einem Schraubenzieher im Genick in einem Hafenbecken gefunden. Seine Bombe war unauffindbar und sollte es auch bleiben.
Ab 1994 war Agent A in Tel Aviv zwangsstationiert. Nicht unbedingt auf einem ganz unwichtigen Posten, aber doch in wesentlich niedrigerer Position, als er zu erwarten gehabt hätte, wenn diese ganze Geschichte mit der südafrikanischen Atombombe nicht passiert wäre. Doch der Agent gab niemals auf, er verfolgte von zu Hause aus verschiedenste Spuren und hatte immerzu die Bilder von Nombeko und dem unbekannten Mann mit dem Lkw im Hinterkopf.
Und dann auf einmal, letzten Abend, bei einem sterbenslangweiligen Auftrag in Amsterdam – nach geschlagenen sieben Jahren! In den Fernsehnachrichten Bilder eines politischen Tumults auf einem Platz in Stockholm. Die Mitglieder der fremdenfeindlichen Sverigedemokrater tragen einen Gegendemonstranten davon. Schleifen ihn zur U-Bahn-Station. Treten mit ihren Springerstiefeln auf ihn ein. Und – da! Eine Nahaufnahme des Opfers.
Das ist er doch!
Der Mann mit dem roten Lkw!
Den Nachrichten zufolge: Holger Qvist, Blackeberg, Schweden.
* * * *
»Entschuldigen Sie«, sagte Holger, »aber von was für einer Atombombe reden Sie denn bitte?«
»Hast du gestern denn noch nicht genug Prügel kassiert?«, fragte Agent A. »Trink von mir aus deinen Kaffee aus, aber schnell, denn in fünf Sekunden sind wir zwei beide auf dem Weg zu Nombeko Mayeki, wo auch immer sie sich aufhalten mag.«
Holger 1 überlegte so angestrengt, dass ihm der Kopf noch heftiger wehtat als sowieso schon. Der Mann auf der anderen Seite des Schreibtischs arbeitete also für den Geheimdienst eines anderen Landes. Und hielt Holger 1 für Holger 2. Und suchte Nombeko. Die dem Mann … eine Atombombe gestohlen hatte.
»Die Kiste!«, entfuhr es Holger 1 plötzlich.
»Ja, wo ist die?«, fragte Agent A. »Sag mir, wo die Kiste mit der Bombe ist!«
Holger ließ einen Moment die Wahrheit auf sich wirken, die ihm jetzt klar wurde. Seit sieben Jahren hatten sie Die Mutter Aller Revolutionären Träume in einem Lager in der Fredsgatan, und sie hatten keinen Schimmer gehabt. Seit sieben Jahren hätten sie Zugang zu dem Instrument gehabt, mit dem sie den König garantiert zum Abdanken hätten zwingen können.
»In der Hölle sollst du brennen«, murmelte Holger 1. Auf Englisch, weil er gerade so in Schwung war.
»Wie meinen?«, sagte Agent A.
»Ich habe nicht den Herrn gemeint«, entschuldigte sich Holger. »Sondern Fräulein Nombeko.«
»Dann schließe ich mich an«, sagte der Agent, »aber ich habe nicht vor, mich darauf zu verlassen, dass unser Wunsch in Erfüllung geht. Deswegen wirst du mich zu ihr bringen. Und zwar jetzt gleich ! Wo ist sie? Antworte!«
Agent A vertraute auf seine entschlossene Stimme. Außerdem hielt er jetzt auch noch eine Pistole in der Hand.
Holger musste an seine Kindheit denken. An Papas Kampf. Wie er selbst ein Teil davon geworden war. Und wie unfähig er gewesen war, ihn auf eigene Faust weiterzuführen.
Und jetzt erkannte er, dass er die Lösung die ganze Zeit vor der Nase gehabt hatte.
In erster Linie quälte ihn nicht die Tatsache, dass hier ein Agent von einem unbekannten Geheimdienst vor ihm stand, bereit, auf ihn zu
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