Die Anatomie des Todes
Möglichkeit einer Fernsehreportage angedeutet hatte, wurde unser Programmchef von Tjodolv Skarv persönlich kontaktiert. Danach galt das Thema beim ganzen Sender als tabu, und jedem, der in dieser Sache weiter recherchierte, wurde mit Kündigung gedroht.«
»Du hast klein beigegeben?«
Stig wandte den Kopf ab. »Ich habe mir andere Herausforderungen gesucht.«
Maja lieà die Sache auf sich beruhen. Sie wollte sich nicht zur Richterin über Stigs persönliche Entscheidungen aufschwingen. Es irritierte sie nur ein wenig, dass er ihr nicht schon früher davon erzählt hatte. Aber so war es eben. Wofür man sich am meisten schämte, wurde am sorgfältigsten verborgen. So wie alle Taten, die man wirklich bereute, und alle Träume, die man begraben musste.
»Ich glaube trotzdem, dass ich noch ein bisschen an der Sache dranbleiben werde.«
Stig nickte. »Was willst du jetzt tun?«
»Weiter sammeln.«
»Sammeln?«
»Ja, einen Mosaikstein nach dem anderen, bis ich weiÃ, was mit dem Heringsviertel geschehen soll.«
»Versprich mir, dass du vorsichtig bist.«
33
Erik Skarv handelte mehr oder weniger vorhersehbar. Als sie am nächsten Tag ins Ãrztehaus kam und in ihr Behandlungszimmer gehen wollte, hörte sie hinter sich eine Stimme:
»Frau Dr. Holm, würden Sie mich kurz in mein Büro begleiten?«
Sie drehte sich um und sah sich Milten gegenüber. Er hatte seine väterliche Miene aufgesetzt. Offenbar wollte er ihr keine Riesenszene machen, sondern nur eine Moralpredigt halten. Sie hatte keine Lust, ihn anzulügen, so wenig respektierte sie ihn.
»Kann das nicht warten?«, fragte sie, obwohl sie die Antwort schon kannte.
»Leider nein«, erwiderte Milten.
Er ging durch das Büro seiner Sekretärin, während sie ihm dichtauf folgte.
»Guten Morgen!«, sagte sie laut und deutlich, doch niemand erwiderte ihren GruÃ.
Nur Linda unterbrach kurz das Schreiben einer SMS und blickte verwirrt von ihrem Handy auf. Als sie am Dienstplan vorbeigingen, konnte Maja sich einen Seitenblick nicht verkneifen und bemerkte, dass jemand die alte Ordnung wiederhergestellt hatte.
Sie wünschte, sie hätte Edel Raaholdts Gesicht sehen können, als sie den Fehler bemerkte.
Sie setzten sich in Miltens Büro, das genauso aussah wie ihres, allerdings hatte er einen teureren Schreibtischstuhl. Milten schlug die Beine übereinander, worauf er einen Kugelschreiber
aus seiner Brusttasche zog und damit auf die Tischkante trommelte. Sie wartete in aller Ruhe ab und schaute sich um. Das japanische Landschaftsbild, das in ihrem Behandlungszimmer über der Liege hing, war hier durch ein gerahmtes Foto zweier spielender Königspudel ersetzt worden. Abgesehen von Kühen machte sie sich nichts aus Tiermotiven, doch dieses war für Miltens Büro wie geschaffen.
»Damit ein modernes Ãrztehaus wie dieses reibungslos funktionieren kann«, begann er, »sind wir alle dazu verpflichtet, eine Reihe von Spielregeln einzuhalten. Spielregeln, die weniger als starre Gesetze, sondern mehr als Verhaltenskodex betrachtet werden sollten.«
Oh, oh, here we go, dachte Maja. Sie wandte ihm ihren Blick zu und lächelte entgegenkommend.
»Das erfordert, wie soll ich mich ausdrücken, einen gewissen Teamgeist.«
Er hob den Blick von seinem Kugelschreiber und schaute ihr in die Augen. »Etwas, das ich bei Ihnen von Anfang an vermisst habe.«
Sie zuckte bedauernd die Schultern. »Ich glaube nicht, dass es an meiner Arbeit etwas auszusetzen gibt.«
»Es ist nicht Ihre Arbeit, an der ich etwas auszusetzen habe. Kritikwürdig sind vielmehr Ihre Kooperationsfähigkeit, Ihre Ethik â¦Â«
»Meine Ethik?«
»Ihr Verhalten den Patienten und Kollegen gegenüber, Ihre ganze Einstellung.« Miltevik beugte sich in seinem Stuhl vor.
»Und natürlich Ihr Umgang mit vertraulichen Informationen.«
»Die Missverständnisse, die im Verhältnis zum Skansebakken-Krankenhaus aufgetreten sind, haben mit meiner Arbeit für das Ãrztehaus nichts zu tun.«
»Sie passen genau ins Bild, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Sie hatte keine Lust, alte Themen wieder aufzuwärmen, und entgegnete ausweichend:
»Dann kann ich mich nur entschuldigen.«
Milten schaute sie ausdruckslos an. Ihre Entschuldigung schien er ihr nicht abzunehmen. Stattdessen schüttelte er bedächtig den Kopf, ehe
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