Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Anatomie des Todes

Die Anatomie des Todes

Titel: Die Anatomie des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Katz Krefeld
Vom Netzwerk:
Kopenhagen.«
    Â»Nördlich von Kopenhagen … nicht wahr?«
    Â»Sie haben ein sehr gutes Gehör.«
    Im Grunde mochte sie ihren eigenen, leicht nasal klingenden Dialekt nicht, den manche mit Arroganz verwechselten. In ihrer Studienzeit hatte sie vergeblich versucht, sich einen richtig großstädtischen Ton zuzulegen.
    Â»Wie lange sind Sie schon … in Norwegen?«
    Â»Ach, viel zu lange«, antwortete sie.
    Â»Und hier?«
    Â»Hier? Seit drei Monaten.«
    Sie maß seinen Blutdruck.
    Â»Und wie lange wollen Sie noch bei uns bleiben?«
    Sie wartete einen Augenblick.
    Â»Bis meine Arbeit getan ist.«
    Sie gab ihrer Stimme mit Absicht einen herausfordernden Klang, doch Skarv reagierte nicht darauf. Stattdessen räusperte er sich und befeuchtete mit der Zunge seine Lippen, wie er es jedes Mal tat, bevor er eine neue Frage stellte.

    Als sie mit dem Blutdruckmessen fertig war, stellte sie das Kopfteil des Krankenbetts etwas höher, damit sie seine Lungen besser abhören konnte.
    Â»Sind Sie … verheiratet?«
    Sie schüttelte den Kopf und holte das Stethoskop aus ihrer Tasche.
    Â»Geschieden?«
    Â»So in etwa.«
    Â»Aber Sie haben einen neuen … Partner.«
    Sie antwortete nicht, sondern zog die Bettdecke ein wenig nach unten und öffnete die beiden obersten Knöpfe seines Pyjamaoberteils.
    Â»Jemand aus unserer Stadt?«
    Â»Pst!« Sie bat ihn, ruhig und tief zu atmen, während sie das Stethoskop an seine Brust legte. Er gehorchte. Aus der Tiefe seiner infizierten Lungen drang ein rasselnder Laut. Wie das Rauschen des Meeres oder das Brausen eines Wasserfalls.
    Â»Bleiben Sie deswegen … bei uns?«
    Maja schaute ihn ernst an, als wolle sie ihn ermahnen, still zu bleiben. Tief in seinen Augen bemerkte sie ein glimmendes Feuer.
    Â»Oder gibt es andere … schwerwiegendere Gründe?«
    Â»Sshh … versuchen Sie weiter, ruhig zu atmen.«
    Skarv musste husten, während er es versuchte.
    Â»Kinder? Haben Sie Kinder?«
    Sie hielt das Stethoskop an seinen rechten Lungenflügel, der sich nicht weniger besorgniserregend anhörte als der linke.
    Â»Keine Kinder?«, vernahm sie Skarvs rasselnde Stimme.
    Sie schüttelte den Kopf. »Keine Kinder.«
    Â»Wie schade … geradezu eine Sünde«, hörte sie durch den Wasserfall seiner Lungen.
    Â»Sie würden hübsche Kinder bekommen … Frau Doktor … kleine Engel …«

    Es rauschte in ihren Ohren.
    Â»Jauchzende … spielende … kleine Engel.«
    Maja war schwindelig.
    Â»Weiche … warme … süß duftende … Engel … mit blonden Locken.«
    Sie wollte sich aufrichten, aber sie konnte das Stethoskop nicht entfernen.
    Etwas drückte gegen ihren Magen, direkt über ihrem Schoß.
    Â»Wunderbare, helle Stimmen … hören Sie den Engel, Frau Doktor? Spüren Sie ihn immer noch?«
    Sie blickte an sich herab, sah Skarvs alte Hand, die sich von der Bettdecke befreit hatte und ihren Bauch hinunterglitt. Sie spürte, wie seine knochigen Finger in ihr Fleisch drückten. »Es war ein Engel … ein Engel.«
    Maja schaute in seine glasigen Pupillen, in deren Tiefe eine letzte Glut leuchtete. Für einen Augenblick kam es ihr vor, als blicke er direkt in ihre Seele.
    Maja trat einen Schritt zurück. Tjodolv Skarv sank in die Kissen. Die Glut in seinem Blick war erloschen. Er schloss langsam die Augen.
    Sie lauschte seinem keuchenden Atem, ohne zu verstehen, was gerade geschehen war. Hatte Skarv während der Untersuchung überhaupt den Mund geöffnet? War er wach gewesen? Fast schien es ihr, als habe er sich durch Telepathie einen Zugang zu ihrem Inneren verschafft. Eine Tür geöffnet, die sie vor langer Zeit geschlossen hatte.
    Sie steckte das Stethoskop wieder in ihre Tasche. Ihre Hände zitterten unkontrolliert.
    In diesem Moment öffnete sich die Tür hinter ihr. Sie fuhr herum. Die hohe Gestalt musterte sie vom Türrahmen aus.
    Â»Was machen Sie hier?«
    Maja erkannte sofort den Mann mittleren Alters wieder,
den sie zuvor auf der Homepage der Renten- und Kreditkasse des Fischereiwesens gesehen hatte.
    Sie nahm ihre Tasche, ging ihm entgegen und streckte ihre Hand aus.
    Â»Maja Holm, ich bin eine Kollegin von …«
    Â»Ich weiß, wer Sie sind. Danach habe ich nicht gefragt. Ich will wissen, was Sie hier zu suchen

Weitere Kostenlose Bücher