Die Anatomie des Todes
er fortfuhr.
»Ich verstehe einfach nicht, was in Ihnen vorgeht.«
»Tja, das weià ich manchmal selbst nicht«, entgegnete Maja und versuchte sich an einem Lächeln.
»Allerdings bin ich an einem Punkt angekommen, an dem mich das auch nicht mehr interessiert.«
»Sehr verständlich.«
»Darum bin ich gezwungen, Sie gehen zu lassen.«
»Wenn es wirklich keine andere Möglichkeit gibt.«
Milten schüttelte den Kopf. »Keine Chance. Soweit ich mich erinnere, wartet woanders ja schon eine Stelle auf Sie, nicht wahr?«
Es ging also einmal mehr darum, sie aus der Stadt zu entfernen.
»Eventuell. Aber ich gehe davon aus, dass mein Vertrag bis zum dreiÃigsten andauert â¦Â«
»O nein, Ihr Vertrag endet heute, und zwar in diesem Augenblick«, entgegnete Milten und klopfte mit dem Kugelschreiber auf sein Zifferblatt.
Sie traute ihren Ohren nicht.
»Ich bin fristlos entlassen?«
»Mir ist völlig egal, wie Sie das nennen. Hauptsache Sie gehen nach unserem Gespräch in Ihr Büro und packen Ihre Sachen zusammen.«
»Dazu muss erst ein Verfahren bei der Ãrztekammer eingeleitet werden.«
»Was ich gern unverzüglich beantragen werde.«
»Mit welcher Begründung?«
»Die Gründe habe ich Ihnen gerade genannt.«
Sie konnte über die Absurdität der Situation nur den Kopf schütteln. »Das ist doch einfach lachhaft.«
»Wir könnten ja mit einer Blutprobe beginnen«, entgegnete er und lehnte sich triumphierend zurück.
Sie wusste nur zu gut, worauf er anspielte. Dennoch fragte sie nach der Begründung.
»Weil Ihre mangelnde Kooperationsfähigkeit offenbar in Zusammenhang mit Ihrem zunehmendem Medikamentenmissbrauch steht.«
Maja begriff, dass sie in Kürze schachmatt sein würde, ganz gleich, welchen Zug sie als Nächstes wählte. Es hatte keinen Sinn, das Spiel weiter fortzusetzen. Das hätte seinen Sieg nur vergröÃert.
Dennoch fühlte sie sich verpflichtet, einen letzten Versuch zu unternehmen.
»Haben Sie schon einen Nachfolger für mich?«, fragte sie, obwohl sie wusste, dass dies nicht der Fall war.
»Wir arbeiten daran.«
»Und was ist mit meinen Patienten, bis Sie jemanden gefunden haben?«
Milten warf den Kugelschreiber auf den Tisch.
»Die werden sich wohl ein wenig gedulden müssen.«
»Sie wissen genau, dass es unverantwortlich ist, die Patienten als Geiseln zu nehmen!«, rief sie wütend.
»Diese Situation haben sie allein Ihnen zu verdanken!«
Kopfschüttelnd stand sie auf. Es gab nichts mehr zu sagen.
»Vergessen Sie nicht, Ihre Schlüssel abzugeben, bevor Sie gehen.«
Sie öffnete ihre Handtasche und suchte nach ihrem Schlüsselbund. Ihr Zorn erschwerte es ihr, die Schlüssel vom Ring abzuziehen. SchlieÃlich brach sie sich die Spitze
ihres Daumennagels ab. Auch dafür würde sie Milten später noch zur Rechenschaft ziehen.
»Mit schönen GrüÃen an Erik Skarv!«, sagte sie und warf die Schlüssel auf den Tisch. Miltens Blick flackerte unmerklich, jedoch genug, um die Lüge zu verraten, bevor sie seinen Mund verlieÃ: »Ich weià nicht, was Sie meinen.«
Er griff zum Telefonhörer und drückte auf die 1. »Könnte bitte jemand Frau Dr. Holm behilflich sein, ihr Büro auszuräumen?«
Das Gespräch â und damit ihre Anstellung â war beendet.
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Es war weniger ein Hilfsangebot als eine KontrollmaÃnahme. Die Aufgabe wurde Linda auferlegt, die plötzlich betreten im Türrahmen stand. Majas gröÃte Sorge galt jedoch nicht den Dingen auf ihrem Schreibtisch, sondern dem Schuhkarton mit dem brisanten Inhalt, den sie unter der Decke versteckt hatte.
»Was willst du jetzt tun?«, fragte Linda vorsichtig.
»Ich werde wohl ein bisschen bei anderen Arztpraxen herumtelefonieren und mich umhören, ob nicht irgendwo eine Stellvertretung gebraucht wird.«
»Du willst also hier in der Stadt bleiben?«
»Ja, noch ein bisschen.«
Maja öffnete die Schreibtischschublade und sah die Papiere durch. Das meiste landete im Papierkorb.
»Du denkst bestimmt, dass ich dich verraten habe«, sagte Linda plötzlich.
Maja drehte sich erstaunt um.
»Wovon sprichst du?«
»Na, vom Dienstplan, dass du da ein wenig ⦠eingegriffen hast.«
»Habe ich das?«, fragte Maja halb im SpaÃ.
Linda nickte ernst.
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